Angst und Schrecken. „Terror“ als Strategie des mind change

Der am Montagabend ausgestrahlte TV-Film „Terror“ mit einem eher unterdurchschnittlich spielenden Florian David Fitz in der Hauptrolle bescherte der ARD Traumquoten. Zu heiß das Thema, zu verlockend die Möglichkeit, durch sein Vote den Ausgang des Films selber mitbestimmen zu können – das Kalkül der Produzenten ging auf.  Annähernd sieben Millionen Zuschauer wollten Oliver Berbens Adaption eines Romans von Ferdinand v. Schirach sehen.

Auch die Abstimmung darüber, ob die Hauptfigur, der Luftwaffenmajor Lars Koch, für den eigenmächtigen Abschuss einer von Terroristen entführten und als fliegende Bombe eingesetzten Passagiermaschine zu verurteilen oder freizusprechen sei, ging eindeutig aus. Fast 87 Prozent der Voter stimmten für Freispruch. 164 Menschen töten, um 70.000 zu retten: für die Mehrheit der an der Abstimmung Beteiligten ein klarer Fall. Allerdings haben überhaupt nur 600.000 Menschen an der Abstimmung teilgenommen (Quelle: BILD.de), also ein Quorum von nicht einmal zehn Prozent, gemessen an der Einschaltquote.

Suggestive Versuchsanordnung

Das Problem an solchen Fragestellungen, aus der Spieltheorie wohlbekannt als das Trolley-Dilemma, ist freilich selten ihr Inhalt, sondern die Versuchsanordnung – beziehungsweise deren Suggestivität. Jeder, der sich ein wenig damit auskennt, wie Medien „gemacht“ werden, weiß, dass es nicht auf die eigentliche Aussage ankommt, sondern auf den spezifischen Zugang, den Access, über den man seine Zuschauer bzw. Leser an die Aussage heranführt. Inszeniert wird eine bestimmte Entscheidungssituation, aber die Inszenierung, eben die Szene ist das eigentliche, versteckte Postulat, das transportiert und propagiert werden soll.

Dass sich eine Mehrheit der ZuschauerInnen für einen Freispruch des angeklagten Majors aussprechen würde, war voraussehbar und wurde so auch von einigen Medien vorhergesagt. Dieses Votum und die ihm inhärente Rechtsfrage: nämlich ob man Leben gegen Leben aufrechnen, wenige Menschenleben für viele opfern dürfe, soll hier aber nicht debattiert werden. Debattiert werden soll, wie realistisch das Szenario überhaupt ist, in das diese Rechtsfrage eingebettet wurde.

Wie realistisch ist das Terror-Szenario überhaupt?

Wir leben bekanntlich im Zeitalter des Kriegs gegen den Terror. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center am elften September 2001 ist die Abwehr des islamistischen Terrorismus das handlungsleitende Dogma westlicher Außen- und in immer größerem Maße auch Innenpolitik. Der Ausbruch der Arabellion, die Syrienkrise und schließlich die Terroranschläge in Frankreich, unserem wichtigsten Nachbarland, brachten dieses weltpolitische Setting in den letzten Jahren Schritt für Schritt näher an Deutschland.

Nun ist es unbestritten, dass es einen islamischen Fundamentalismus und, als dessen militanter Arm, einen islamistischen Terrorismus gibt – übrigens nicht erst seit dem elften September. Die neuere Geschichte des Dschihadismus reicht ins frühe zwanzigste Jahrhundert zurück, genau genommen schon ins achtzehnte Jahrhundert. Damals entstand in der arabischen Wüste der Wahabitismus als Reaktion auf den (west-) europäischen Imperialismus, der nach dem atlantischen, pazifischen und afrikanischen Raum sich anschickte, im Orient die Nachfolge des wankenden Osmanischen Reiches anzutreten – mit Erfolg, wie die Geschichte des Orients von Napoleons Nahost-Expedition 1798 bis zum Sykes-Picot-Abkommen 1916 zeigt.

Der Orient seit 1990 wieder Zentrum der Weltpolitik

Während der Kalte Krieg, der sich überwiegend in Mitteleuropa und Fernost abspielte, den Orient nur sekundär berührte, rückte der Nahe Osten unmittelbar nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1990 wieder ins Zentrum des politischen Weltgeschehens. Ein historischer long run führt direkt vom zweiten Golfkrieg (Operation Desert Storm) 1991 zur Schlacht um Mossul, die heute in ihre entscheidende Phase geht.

Im global age bleiben Konflikte selten regional begrenzt, und so werden wir alle mehr und mehr zu Kombattanten, gleichsam zu politischen Prozessbeteiligten im Kampf gegen den Terror. Das große Stichwort lautet hier Flüchtlingskrise. Die Massenflucht von arabischen Bürgern aus ihrer verwüsteten und verarmten Heimatländern nach Europa wird von vielen hierzulande in Zusammenhang gebracht mit zwei Phänomenen: einer drohenden Verarmung unserer westlichen Volkswirtschaften und einer gestiegenen Terrorgefahr.

Verarmungs- und Terrorangst werden auf Flüchtlinge projiziert

Ein Film wie „Terror“ befestigt nolens volens die Wahrnehmung, wir im Westen befänden uns in einem solchen Setting aus Verarmung (die Flüchtlinge wandern in die Sozialsysteme ein!) und Terrorismus (mit den Flüchtlingen kommen die Terroristen!). Hier liegt die große Gefahr eines solchen Films: in der unnötigen und unrealistischen Dramatisierung des Politischen.

Mit dieser Tendenz freilich fügt „Terror“ sich ein in eine Strömung, die in den westlichen Medien seit Jahren präsent ist und immer mehr an Fahrt gewinnt. Uns soll suggeriert werden, wie befänden uns in einem Ausnahmezustand, um dann im Wege einer entsprechenden Notstandsgesetzgebung die Freiheitsrechte auszuhöhlen (in den USA ist man damit schon sehr weit gekommen) – und, was vielleicht noch schwerer wiegt, um vom eigentlichen großen Problem unserer Zeit abzulenken: nämlich der neuen sozialen Frage.

Teilhabe als Prinzip von Politik ist in Gefahr

Der Philosoph Volker Gerhardt hat einmal „Partizipation“, also Teilhabe als das Prinzip von Politik benannt. Niemals in der Geschichte wurde das universelle Teilhaberversprechen von Politik so weitgehend eingelöst wie in der Zeit zwischen Zweitem Weltkrieg und Nine Eleven. In dieses halbe Jahrhundert fällt der Kalte Krieg, der viel eher Kalter Friede heißen müsste, eine Epoche, die immer mehr Menschen den Aufstieg in die Mittelklasse ermöglichte, ein Leben in Frieden, Wohlstand und Zufriedenheit. Im Westen ebenso wie im Ostblock und, in deren Windschatten, eben auch im Nahen und Mittleren Osten.

Seit dem Wegfall der Blockkonstellation, die beide Seiten beständig dazu anhielt, den Wohlstand ihrer Bevölkerung nach Kräften zu fördern, ist das Prinzip der Teilhabe als handlungsleitendes Prinzip von Politik gefährdet. Die Ungleichheit wächst in Gestalt eines immer ungünstigeren Kapital-Einkommensverhältnisses, wie der französische Ökonom Thomas Piketty (Le Capital au XXIe siècle) gezeigt hat.

Terrorangst soll von der sozialen Frage ablenken

Diese Entwicklung trifft die Politik freilich nicht unvorbereitet. Immer in der Geschichte reagierten Eliten  auf die Entstehen neuer Ansprüche mit einer bestimmten Strategie: die Verlagerung der sozialen Bedürfnisse ins Außenpolitische. So lässt sich die law-and-order-Politik in den USA nach Nine/Eleven erklären, so auch der Rechtsruck in fast allen europäischen Staaten seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 und der kurz darauf einsetzenden Orientkrise, die mit der Zerstörung der politischen Systeme Ägyptens, des Iraks und Syriens begann und eine Fluchtwelle gigantischen Ausmaßes auslöste. Der Front National, AfD und PEGIDA und natürlich auch der Brexit sind Symptome dieser Strategie, die uns in kürzester Zeit eine Renaissance des Nationalismus und auch des Rassismus beschert hat, die meine Generation (Jahrgang 1982) nicht für möglich gehalten hätte.

Polizeifarce um Al-Bakr, Pogromstimmung nach der Kölner Silvesternacht

In diese Strategie nun fügt sich „Terror“ optimal. Uns wird suggeriert, wir befänden uns längst im Krieg gegen den Terrorismus. Man denke an Polizeifarce um den mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr, eine Figur wie aus dem Homeland-Script, den die sächsische Polizei erst entwischen ließ, um ihn dann drei Tage später von drei „guten Syrern“ versandfertig abgeliefert zu bekommen, um diesen sich dann wiederum einen Tag später in seiner Zelle „in einem unbeobachteten Augenblick“ aufhängen zu lassen, woraufhin dann, als wäre das nicht schon merkwürdig genug, auch die vermeintlich „guten Syrer“ unter Terrorverdacht gerieten. Man erinnere sich auch an die auffälligen Unstimmigkeiten im Vorfeld der Anschläge auf das Pariser Bataclan-Theater vor rund einem Jahr, auf die ein paar Tage später immerhin der frühere GSG-9-Kommandeur Ulrich Wegener – und der muss es nun wirklich wissen – in einem TV-Interview aufmerksam machte. Und man erinnere sich auch, wie im Nachgang zu den „Ereignissen in Köln“ in der letzten Silvesternacht eine geradezu pogromartige Stimmung gegen Ausländer – „Nordafrikaner“ und „Araber“ – erzeugt werden sollte, die angeblich eine Gefahr für „deutsche Frauen“ darstellten. –

Wer oder was auch immer hinter alldem steckt: die Tatsache, dass Medienerzeugnisse wie „Terror“ im Kontext einer Renationalisierung und Remilitarisierung stehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Autor selber spielte in dieser Strömung eine nicht unmaßgebliche  publizistische Rolle, so als historischer Essayist beim inzwischen stark nach rechts abgedrifteten politischen Magazin CICERO in den Jahren 2012 und 13 sowie als Koautor eines Buches über den Ersten Weltkrieg (Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein), das im Jubiläumsjahr 2014 in einer Koproduktion von BILD-Zeitung und Piper Verlag erschien.

Martina Gedeck stellt in „Terror“ die richtige Frage: wieso wurde das Stadium nicht geräumt?

Unbestritten: es gibt eine islamischen Terrorismus. Fragwürdig ist aber, wie weit dieser schon vorgedrungen ist und wie groß seine politischen und militärischen Chancen tatsächlich sind. Martina Gedeck (die mit Abstand am besten spielte) fiel im ARD-Film die wenig dankbare Rolle zu, die Staatsanwältin zu spielen, die gleich zu Beginn der Verhandlung die eigentlich entscheidende Frage stellte: wieso nämlich niemand die Räumung der Münchner Allianz-Arena verfügt habe, des fiktiven Anschlagsziels, auf das die Terroristen das entführte Flugzeug nach dem Muster Nine Eleven lenken wollten.

Dieselbe Frage, natürlich abgewandelt, sollten und müssen wir uns stellen: warum lässt man es überhaupt so weit kommen, dass der „Islamische Staat“ (ISIS) eine so mächtige Stellung im Nahen Osten erringen konnte und den beiden größten Militärmächten der Weltgeschichte, den USA und der Russischen Föderation, ernsthaft Probleme bei seiner Niederschlagung bereiten kann? Warum lässt man es so weit kommen, dass trotz Überwachung und Vorratsdatenspeicherung Terroristen überhaupt eine realistische Chance haben, ein Flugzeug zu entführen und es auf 70.000 Menschen stürzen zu lassen? Und vor allem: was will man mit so einem Schreckensszenario bezwecken?

Diese Fragen, echte politische Fragen, sollen und müssen wir uns stellen, anstatt uns in ein ebenso rührendes wie rührseliges Bühnenarrangement von Schuld und Entscheidung emotional einwickeln zu lassen, um aus dieser Emotionalität heraus dann politische Entscheidungen zu treffen, die uns eines Tages womöglich unsere höchsten Werte kosten können: nämlich Freiheit, Gleichheit und Partizipation.

© Konstantin Sakkas, 2016

Header: Florian David Fitz as Major Lars Koch in „Terror“, ARD, 18. October 2016. Quelle & Rechte: ARD