Lesedauer: 30 min
Triggerwarnung: Der nachfolgende Text enthält drastische Schilderungen der den Juden im Holocaust angetanen Gewalt.
„Ich habe aber auch keinen Zweifel darüber gelassen, dass, wenn die Völker Europas wieder nur als Aktienpakete dieser internationalen Geld- und Finanzverschwörer angesehen werden, dann auch jenes Volk mit zur Verantwortung gezogen werden wird, dass der eigentlich Schuldige an diesem mörderischen Ringen ist: Das Judentum! Ich habe weiter keinen darüber im Unklaren gelassen, dass dieses Mal nicht nur Millionen Kinder von Europäern der arischen Völker verhungern werden, nicht nur Millionen erwachsener Männer den Tod erleiden und nicht nur Hunderttausende an Frauen und Kindern in den Städten verbrannt und zu Tode bombardiert werden dürften, ohne dass der eigentlich Schuldige, wenn auch durch humanere Mittel, seine Schuld zu büßen hat.“
Diese Worte diktierte Adolf Hitler seiner Sekretärin Traudl Junge am 29. April 1945, einen Tag vor seinem Selbstmord im so genannten Führerbunker in Berlin, und sie haben eine erstaunliche Karriere gemacht. Noch 75 Jahre später nämlich herrscht insgeheim die Meinung vor, der Völkermord an den europäischen Juden sei zwar ein historisch einzigartiges Verbrechen – aber kein besonders grausames Ereignis gewesen.
Das Vernichtungslager als Ort, an dem man durch beflissene SS-Männer wie den ikonisch lächelnden „Todesengel“ Josef Mengele an der „Rampe“ bis zuletzt getäuscht und beinahe gewaltfrei und quasi durch „gutes Zureden“ in eine geräumige Gaskammer geleitet wurde, in der man dann nach wenigen Atemzügen starb: so hätte man es gern, und so wurde und wird es durch Film und Literatur teilweise suggeriert. Aber so war es nicht.
Zum populären Allgemeinwissen über den Holocaust insbesondere in Deutschland gehört seit Jahren der Topos, dass in den Vernichtungslagern vor den Gaskammern Schilder angebracht gewesen seien, auf denen sinngemäß zu lesen gewesen sei, „nach dem Duschen gibt es Kaffee und Kuchen“. Etwa die Literaturverfilmung Aus einem deutschen Leben von Theodor Kotulla mit Götz George in der Hauptrolle aus dem Jahr 1977 zitiert diesen Topos („nach dem Duschen bekommen Sie alle einen halben Liter Kaffee“).
Der Satz mit dem Kaffee, den es nach der vermeintlichen Desinfektion in den Baderäumen, die sich dann als Gaskammern herausstellten, geben würde, ist historisch durchaus verbürgt. Hier liegt nicht das Problem. Das Problem liegt vielmehr darin, dass man erstens den ungeheuerlichen Sadismus, der bei den Massenmorden in den Vernichtungslagern die Regel war, im öffentlichen Gedächtnis immer noch weitgehend ignoriert; und dass man sich zweitens selbst noch nach der erinnerungskulturellen Zäsur von 1968 über das Ungeheuerliche der Massenvernichtung mit der klammheimlichen Selbstbeschwichtigung hinwegtröstet, dafür sei diese Massenvernichtung ja „human“ abgelaufen.
Doch diese Selbstbeschwichtigung ist eine Selbsttäuschung, die historisch nicht gedeckt ist. Sie wird zum Teil dadurch gefördert, dass die Massentötung von Juden durch Giftgas in Deutschland vor allem mit dem Namen Auschwitz verbunden ist, weniger mit den je nach Zählung bis zu sieben weiteren Vernichtungslagern. Für eine realistische Erinnerungskultur ist das in mehrerlei Hinsicht problematisch.
Erstens: Auschwitz war kein reines Vernichtungslager, sondern bestand aus drei Lagern: dem Stammlager Auschwitz I, dem Lagerkomplex Auschwitz-Monowitz und dem eigentlichen Vernichtungslager Auschwitz II, auch bekannt als Auschwitz-Birkenau. In Birkenau befanden sich die Gaskammern, dort fand der planmäßige Mord mit Zyklon B statt.
Zweitens: aus diesem Doppelstatus als Arbeits- und Vernichtungslager ergab sich, dass es zu Selektionen unter den neu ankommenden Juden kam, die es in den reinen Vernichtungslagern, von denen in diesem Beitrag hauptsächlich zu sprechen sein wird, dagegen nicht gab. Bei den Selektionen in Auschwitz, die durch einige millionenfach reproduzierte Fotografien zur erinnerungskulturellen Ikone wurden, wurde bekanntlich nach arbeitsfähig und nicht-arbeitsfähig unterschieden; wer als arbeitsfähig „selektiert“ wurde, wurde offiziell ins Stammlager Auschwitz eingewiesen und bekam die berüchtigte Häftlingsnummer eintätowiert; die anderen, in der Regel Alte, Kinder und überdurchschnittlich viele Frauen, wurden, zumeist auf Lastwagen, nach Birkenau eskortiert, wo sie dann in die Gaskammern kamen.
Weil die Lager-SS in Auschwitz also wenigstens einen Teil der Ankömmlinge als Arbeitshäftlinge brauchte, war sie darauf angewiesen, dass es bei den Selektionen einigermaßen „ordentlich“ zuging; durch eine übermäßig brutale Behandlung der Nicht-Arbeitsfähigen, von denen ja klar war, dass man sie wenig später umbringen würde, hätte die SS – auch wenn es bei deren „Abfertigung“ erwiesenermaßen brutal zugehen konnte – bei den Arbeitsfähigen, die unter den Nicht-Arbeitsfähigen oftmals Verwandte und Freunde hatten, unnötig Unruhe ausgelöst, was zu unerwünschten Widerstandshandlungen direkt an der „Rampe“ hätte führen können. Man kann also davon ausgehen, dass die Täuschungsfassade bei der Ankunft in Auschwitz aufgrund der Selektionen relativ effizient aufrechterhalten wurde.
Drittens: Auschwitz war Anlaufstelle vor allem von süd- und westeuropäischen sowie der meisten deutschen Juden. Das ist der Hauptgrund, warum ausgerechnet Auschwitz zu einer erinnerungskulturellen Ikone wurde und Belzec, Sobibor und Treblinka, die Lager der so genannten Aktion Reinhard, nicht, und ebenso wenig die beiden weißrussischen Lager Maly Trostinez und Bronnaja Gora oder das Lager Majdanek bei Lublin, das wie Auschwitz sowohl Arbeits- als auch Vernichtungslager war, allerdings mit einer vermutlich weitaus geringeren Opferzahl als Auschwitz. Denn das Gedächtnis an den Holocaust in der westlichen Welt wurde und wird teils noch immer (2024) von der westlichen Geschichtsschreibung und Medienöffentlichkeit dominiert.
Die polnischen Juden, die hauptsächlich in der so genannten Aktion Reinhard zwischen März 1942 und November 1943 in den drei bereits genannten Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet wurden, hatten zu Beginn dieser Mordkampagne, also Anfang 1942, bereits mehr als zwei Jahre Gewalterfahrung hinter sich. Sie wussten oder ahnten, was sie bei ihrer finalen Deportation erwartete, so dass die Täter in ihrem Fall auf ausgeklügelte Täuschungsmanöver nicht durchgehend, aber vielfach verzichteten und sie von der „Verladung“ zur Deportation bis zu den letzten Schritten in Tötungsprozess durch Vergasen, Erschießung oder anderweitige Methoden ihre Unterlegenheit und ihr Ausgeliefertsein ausdrücklich und oft mit sadistischer Freude spüren ließen.
Erstens: Diese osteuropäischen Juden lebten seit Ende 1939 in Ghettos zusammengepfercht, die völlig überfüllt waren und in denen die sanitäre und die Versorgungslage von den Deutschen bewusst katastrophal gehalten war. Ein erheblicher Teil des durch das nationalsozialistische Deutschland ermordeten Juden – das vergisst man heute gerne – starb gar nicht durch direkte Gewalteinwirkung, sondern ist qualvoll in den Ghettos verhungert. Schon als im März 1942 die Transporte nach Belzec begannen – jüdische Insassen psychiatrischer Anstalten wurden im besetzten Polen schon seit 1939, also Kriegsbeginn, planmäßig ermordet –, konnten sich die polnischen Juden nur noch schwerlich Illusionen über das Ziel ihrer Reise machen.
Zweitens aber hatte sich 1942 nach einigen Monaten die Tatsache, dass, wie es im Jargon der NS-Bürokratie hieß, in speziellen Lagern in Ostpolen Juden „sonderuntergebracht“ wurden, in den Ghettos und Städten Polens weit herumgesprochen. Die polnischen Juden kamen in den so genannten Reinhard-Lagern an als Todgeweihte, und exakt so wurden sie nicht nur in den Lagern in Empfang genommen, sondern auch schon bei der Abfahrt behandelt.
Die Historikerin Sara Berger untersucht in ihrer einschlägigen Dissertation Experten der Vernichtung, die 2013 erschien, nicht nur die personellen und technischen Kontinuitäten zwischen der so genannten Euthanasie und der Aktion Reinhard, sondern gibt vor allem einen beklemmenden, realistischen Einblick in die Realität der Todeslager, die mit der geradezu romantischen Vorstellung, die sich der Volksmund gern von der Judenvernichtung macht, drastisch abweicht. Wir stützen uns im Folgenden neben einigen Primärquellen vor allem auf die Forschungsergebnisse Bergers.
In einem Vortrag, den sie 2018 vor Bundesoffizieren hielt, sagte Sara Berger einleitend:
„Vorab möchte ich gerne betonen, dass es sich bei den Lagern keineswegs um eine anonyme Vernichtungsmaschinerie gehandelt hat, die quasi ohne menschliche Kontakte zwischen Tätern und Opfern funktionierte und ohne Gewalt auskam. Die Ermordung in den drei Lagern war im Gegenteil ein äußerst gewaltsamer Vorgang, an dem alle Täter im Lager ausnahmslos beteiligt waren.“
„Die vorherigen Herrscher über Leben und Tod“ dagegen versuchten nach dem Krieg, so Berger in ihrem Buch, „den Massenmord als reines Fließbandverfahren, als perfekt funktionierende Todesmaschinerie ohne Gewalt darzustellen.“ Doch gewaltfrei war nicht einmal der Transport in die Todeslager. Der frühere polnische Seifenfabrikant Rudolf Reder, einer von nur zwei bekannten Überlebenden des Vernichtungslagers Belzec, das von März bis Dezember 1942 betrieben wurde, schildert in seinem Bericht aus Belzec die Prozedur der Verladung am Bahnhof von Lemberg:
„Um sechs Uhr morgens befahlen sie uns, aus dem feuchten Gras aufzustehen und Vierergruppen zu bilden, und die langen Reihen der Verdammten gingen zum Bahnhof Kleparów. Gestapo und Ukrainer umstanden uns in dichten Reihen. Keiner konnte entkommen. Sie drängten uns auf die Rampe des Bahnhofs. Ein langer Güterzug wartete schon an der Rampe. Es waren fünfzig Waggons. Sie begannen uns zu verladen. Die Türen der Güterwaggons waren geöffnet worden. Die Gestapoleute [gemeint ist SS; K.S.] standen an beiden Seiten der Türen – zwei an jeder Seite mit Peitschen in den Händen – und schlugen jeden, der einstieg, ins Gesicht und auf den Kopf. Die Gestapoleute schlugen ohne Ausnahme auf die Leute ein. Wir hatten alle Striemen im Gesicht und Beulen auf dem Kopf. Die Frauen schluchzten, die Kinder weinten und drückten sich an ihre Mütter. Unter uns waren auch Frauen mit Säuglingen. Als wir von der die Menschen rücksichtslos schlagenden Gestapo angetrieben wurden, stolperten wir übereinander. Der Einstieg war hoch, und die Menschen mussten heraufklettern und stießen sich gegenseitig weg – wir waren selbst in Eile, wir wollten es hinter uns bringen. Ein Gestapo-Mann mit einem Maschinengewehr saß auf dem Dach eines jeden Waggons. Die Gestapo schlug die Leute und ließ jeweils Hundert in einen Waggon. Es ging alles so schnell, dass es nicht länger als eine Stunde dauerte, um einige tausend Menschen zu verladen.“
Das Martyrium der Juden begann also bereits mit der Zugfahrt, und dies führt uns zu einem weiteren erinnerungskulturellen Topos, dem ikonischen „Viehwaggon“, worin die Deportierten transportiert wurden. Tatsächlich waren es aber nicht einmal Viehwaggons, sondern so genannte gedeckte Güterwagen, in denen vor allem die osteuropäischen Juden in den Tod gefahren wurden. Schon die Standards für den Transport von Tieren wurden hierbei nicht eingehalten, die Menschen wurden, wie in der deutschen Wikipedia zu lesen ist, „wie Stückgut“ transportiert. Denn die Waggons waren in der Regel hoffnungslos überfüllt. Die Menschen saßen nicht, sondern standen, und das oft über mehrere Tage hinweg und wie aneinandergeklebt, sie mussten ihre Notdurft im Waggon verrichten und waren auf den von ihnen mitgebrachten Proviant angewiesen. Zivilisten, die ihnen bei Zwischenhalten Nahrung reichen wollten, wurden durch die Begleitmannschaften in der Regel mit Gewalt abgewiesen. Angehörige der Begleitmannschaft, die mit Wasser Schwarzhandel trieben, verlangten dafür entweder horrende Preise, oder aber nahmen den Deportierten erst Geld und Wertsachen ab, lieferten dann aber nicht das versprochene Wasser.
Die Deportationszüge fuhren mit erheblich gedrosselter Geschwindigkeit. Zum einen wegen ihrer Überladung, zum anderen wegen der häufigen Stopps. Denn der Holocaust war, wie der Historiker Christian Gerlach zu Recht betont, nicht nur Produkt eines irrationalen Nihilismus, sondern zugleich pragmatisch kalkuliert. Material- und Soldatentransporte der Wehrmacht hatten absoluten Vorrang vor den Todeszügen, so dass man schon für wenige hundert Kilometer mehrere Tage brauchen konnte. Das alles im Güterwagen, stehend beziehungsweise kauernd, bei Frost und bei Hitze, und mangelhaft oder gar nicht verpflegt. Dass eine Fahrt unter solcherlei Umständen von vielen Juden zutreffend als Fahrt in den eigenen Tod entschlüsselt wurde, zeigt sich daran, dass es auf fast allen Transporten Passagiere gab, die versuchten, aus dem fahrenden Zug zu fliehen, indem sie die Bodenverkleidung herausrissen und hinaussprangen. Die meisten von ihnen starben dabei oder wurden von den Begleitmannschaften erschossen, einigen wenigen gelang so die Flucht aus dem Zug, die freilich noch längst nicht die endgültige Rettung bedeuten sollte. Viele wurden wieder „eingefangen“ und ein weiteres Mal deportiert.
Wenn dann ein Deportationszug endlich seinen Bestimmungsort endlich erreicht hatte, so hieß das noch lange nicht, dass er auch sofort „abgefertigt“ wurde. Kam ein Zug nach Dienstschluss an, so ließ man ihn vor dem Lagertor warten und begann erst mit Schichtbeginn am kommenden Morgen mit der so genannten „Abfertigung“. Die Menschen, die einem Deportationszug entstiegen, waren schon bei der Ankunft mehr tot als lebendig – wenn sie nicht tatsächlich bereits gestorben waren.
Der SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, ein Mitglied der Bekennenden Kirche, das sich nach eigener, nicht unumstrittener Aussage gleichsam in die SS eingeschlichen hatte, um das Böse von innen kennenzulernen und später davon Zeugnis abzulegen, hat nämlich in einer als Gerstein-Bericht bekanntgewordenen Niederschrift aus der unmittelbaren Nachkriegszeit beschrieben, wie man sich die Ankunft eines Deportationszuges ungefähr vorzustellen habe:
„Am anderen Morgen kurz vor sieben kündigt man mir an: In zehn Minuten kommt der erste Transport! Tatsächlich kam nach einigen Minuten der erste Zug von Lemberg aus an. 45 Waggons mit 6.700 Menschen, von denen 1.450 schon tot waren bei ihrer Ankunft. Hinter den vergitterten Luken schauten, entsetzlich bleich und ängstlich, Kinder durch, die Augen voller Todesangst, ferner Männer und Frauen. Der Zug fährt ein: 200 Ukrainer reißen die Türen auf und peitschen die Leute mit ihren Lederpeitschen aus den Waggons heraus.“
Von 6.700 Deportierten waren bei Ankunft im Vernichtungslager also fast 1.500 schon tot, mithin fast ein Viertel. Und das war nicht alles. Bereits in den Neunzigerjahren hat Christopher Browning in seiner bekannt gewordenen Studie Ganz gewöhnliche Männer über das berüchtigte Ordnungspolizeibataillon 101 dargestellt, wie Männer ebendieses Bataillons bei der Abfahrt eines Transportes Chlorkalk in die Waggons beziehungsweise auf die bereits verladenen Menschen gestreut hätten, vorgeblich zur Desinfektion, tatsächlich aber wohl aus Sadismus. Als der Zug dann endlich am Ort seiner Bestimmung ankam, hatte sich ein Großteil der dort zusammengepferchten Juden grauenvolle Verätzungen zugezogen und war schon tot. Immer wieder gab es Züge, bei denen mehr als 50 Prozent der Deportierten bereits bei Ankunft tot waren; von einem Deportationszug aus Rumänien, der sieben Tage unterwegs war, ist bekannt, dass bei seiner Ankunft über 75 Prozent der Juden in ihm nicht mehr lebten.
Transporte in dieser Art und mit ähnlich hohen Todesraten gab es zwar aus allen Teilen Europas; die Regel aber waren sie eher in Ost- als in Westeuropa. Aus dem so genannten Altreich etwa wurden die Menschen häufig in Abteilwagen dritter Klasse transportiert; zur Tarnung nach außen, aber eben auch zur Beschwichtigung. In der Literatur ist mehrmals von Transporten großbürgerlicher Juden aus den Niederlanden nach Treblinka beziehungsweise Sobibor bekannt, die in im Personenzug mit Speisewagen stattfanden. Der Film Flucht aus Sobibor aus den Achtzigerjahren mit Rutger Hauer hat diese Episode popularisiert; sie dürfte authentisch sein, stellt aber eben eine Ausnahme dar.
Die Prozedur des Aussteigens hat ebenfalls Rudolf Reder, der als Angehöriger des so genannten Sonderkommandos nicht vergast wurde und späterhin bei einem Außeneinsatz fliehen konnte, beängstigend eindrücklich beschrieben:
„Und dann fand der „Empfang des Zuges“ statt. Einige Dutzend SS-Männer öffneten die Waggons und schrien „los!“. Sie schlugen die Menschen mit Peitschen und Gewehrkolben aus den Zügen. Die Türen der Waggons waren einen Meter über dem Boden, und alle, die hinausgetrieben wurden – Junge und Alte gleichermaßen, mussten herunter auf den Boden springen. Dabei brachen sie sich ihre Arme und Beine.“
Was dann kam, beschreibt Sara Berger am Beispiel der so genannten Frühphase des Lagers Treblinka, in dem am 23. Juli 1942 der erste Transport mit Warschauer Juden ermordet wurde, folgendermaßen:
„Die im Verhältnis zur Opferzahl – täglich durchschnittlich über 7.000 Menschen – defizitären Lagerstrukturen glichen die Männer durch die Ausübung von roher Gewalt aus: Um die Situation ohne Gefahr für das eigene Leben kontrollieren zu können, positionierten sich die – häufig betrunkenen – T4-Reinhard-Männer und die Wachmänner [gemeint sind die zumeist ukrainischen Hilfsmannschaften, K.S.] auf den Dächern der Baracken und schossen während der ‚Transportabfertigung‘ in die Menschenmenge.“
Wenngleich sich diese Zustände im Vernichtungslager Treblinka nach dem vorläufigen Zusammenbruch der Vernichtungsmaschinerie und der Ablösung des „überforderten“ ersten Lagerkommandanten Irmfried Eberl Ende August 1942 etwas milderten, so blieb doch die Behandlung der deportierten Juden von der Ankunft im Vernichtungslager bis zu ihrem letzten Atemzug von purer Gewalt geprägt. Ja, es gab Elemente der Täuschung, die aber rasch wieder konterkariert wurden. So wurde den Ankömmlingen gelegentlich eine Rede gehalten, in der ihnen suggeriert wurde, sie gingen jetzt baden, um anschließend zum Arbeitseinsatz zu kommen. Hierauf sollen die Juden manchmal applaudiert und „Danke“ gerufen haben. „Viele Menschen ließen sich jedoch“, so schreibt Sara Berger,
„auch durch den Verwesungsgeruch im Lager und durch Warnungen der im Lager beschäftigten ‚Arbeitsjuden‘, über das ihnen zugedachte Schicksal nicht mehr hinwegtäuschen. Aus diesem Grund wurde zunehmend auf die Ansprache verzichtet. Stattdessen wurden nur noch Anweisungen gegeben und rohe Gewalt angewandt, um Widerwillige zum Auskleiden zu zwingen.“
Sobald aber die Frauen zum Haareschneiden kamen, schlug die Stimmung vollends um. Chil Rajchman, der eine Zeit lang beim Friseurkommando im Vernichtungslager Treblinka eingesetzt war und beim legendären Aufstand des Sonderkommandos Anfang August 1943 fliehen konnte, beschreibt in seinen Erinnerungen Ich bin der letzte Jude – sie erschienen erst 2009, fünf Jahre nach seinem Tod, und sie zeitigten kaum mediale Resonanz –, wie auch den arglosesten jüdischen Frauen beim Haareschneiden schlagartig klar wurde, was mit ihnen geschehen würde.
Rajchmans Darstellung deckt sich mit der Rudolf Reders aus Belzec:
„Es war ein Moment der Hoffnung und der Täuschung. Für einen Moment atmeten die Menschen auf. Absolute Stille herrschte. Die ganze Menschenmenge ging schweigend weiter, die Männer direkt über den Platz zu einem Gebäude, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand: „Bade- und Inhalationsräume“. Die Frauen gingen einige zwanzig Meter weiter zu einer großen Baracke (30×15 Meter). Den Frauen und Mädchen wurde in diesen Baracken das Haar abrasiert. Sie gingen hinein, ohne zu wissen, warum man sie hineingeführt hatte. Die Ruhe und die Stille dauerten noch eine Weile an. Nachträglich sah ich, dass ihnen nur einige Minuten später schlagartig alles klar wurde – als man ihnen Holzschemel gab und sie in den Baracken aufreihte, als man ihnen befahl, sich zu setzen und acht jüdische Friseure (Roboter, schweigend wie ein Grab) zu ihnen kamen, um ihr Haar bis zum Schädel abzurasieren. Keine von ihnen […] konnte[n] noch irgendwelche Zweifel haben. [… ] Plötzlich – ohne ein Zwischenstadium zwischen der Hoffnung und der absoluten Verzweiflung – hörte man Jammern und Kreischen. Viele Frauen wurden vom Wahnsinn gepackt.“
Anschließend kam der Gang durch einen eingezäunten Weg zur Gaskammer. Dieser Weg ist in der Literatur oft beschrieben worden, die SS selbst – so etwa Unterscharführer Franz Suchomel in seinem Interview mit Claude Lanzmann für dessen Dokumentarfilm Shoa –nannte ihn „Himmelfahrtsweg“ oder „Himmelfahrtsstraße“, im Lagerjargon hieß er schlicht „Schlauch“. Der Zaun war beidseitig durch dichtgesteckte grüne Zweige getarnt, was der Treblinka-Überlebende Richard Glazar, zum Anlass nahm, seine Erinnerungen Die Falle mit dem grünen Zaun zu betiteln. In Flucht aus Sobibor läuft einer der kindlichen Helden unter dem düster anschwellenden Ostinato der Filmmusik diesen Weg entlang, als er einem SS-Dienstgrad an der Gaskammer eine Botschaft zu überbringen hat. Die Juden liefen üblicherweise in Fünferreihen durch den Schlauch, während zu beiden Seiten SS-Leute und ukrainische so genannte „Hilfswillige“ mit Wachhunden postiert waren, die die Menge mit Schlägen, Peitschenhieben und Bajonettstichen zur Eile trieb.
Wie der Gang durch den „Schlauch“ zur Gaskammer ablief, beschreibt die Historikerin Berger am Beispiel von Belzec wie folgt:
„Häufig zögerten die Deportierten, durch den mit Stacheldraht begrenzten „Schlauch“ weiterzugehen, wurden dann aber durch die nachfolgenden Menschenmassen weitergedrängt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schlug die Situation in Hektik und Gewalt um. SS-Männer […] sowie […] Zugwachmänner […] standen vor den Gaskammern, verhöhnten die verzweifelten Menschen, trieben sie mit Geschrei, Peitschen, Gewehren, Bajonetten und Prügeln die Stufen hoch in das Gebäude und verteilten sie auf die sechs Gaskammern. Versuchte jemand zu fliehen, wurde er auf der Stelle getötet.“
Noch eindrücklicher wird die Situation von Reder wiedergegeben, auf den sich Berger in ihrer fundierten Studie mehrfach bezieht:
„Während man die Frauen vorwärtstrieb, und sie nackt und rasiert wie Vieh zum Schlachter peitschte, ohne sie zu zählen, schneller, schneller – waren die Männer schon in den Kammern gestorben.“
Sofern die SS Männer und Frauen sowie Kinder getrennt vergaste, tötete sie zuerst die Männer. Umgekehrt hätte nämlich das Risiko bestanden, dass die Männer durch den vermuteten Tod ihrer Frauen und Kinder den Mut zu einer Verzweiflungstat gefasst und ihre Peiniger angegriffen hätten, um Rache zu üben. Mindestens ein solcher Verzweiflungsakt ist für das Lager Belzec für Ende 1942 überliefert. Wie schon bei den Einsatzgruppenmorden, wurden auch in den Reinhard-Lagern Frauen vor der Vergasung vergewaltigt. Sara Berger beschreibt zudem, wie Hochschwangere vor der Gaskammer „durch Tritte und Gewalt zum Gebären“ gezwungen wurden.
Reder fährt fort:
„Man brauchte etwa zwei Stunden, um die Frauen zu rasieren […] Einige Dutzend SS-Männer benutzten Peitschen und scharfe Bajonette, um die Frauen zu den Gebäuden mit den Kammern und die drei Stufen zu dem Korridor hoch zu treiben, in dem askars [so wurden die ukrainischen Hilfskräfte auch genannt] 750 Menschen für jede Kammer abzählten. Frauen, die sich sträubten hineinzugehen, wurden von den askars mit dem Bajonett in den Körper gestochen, das Blut floss […].“
Die Juden gingen schon deshalb nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“, weil sie körperlich in der Regel gar nicht mehr in der Lage zu effektivem Widerstand gewesen wären und weil dieser Widerstand durch ein Szenario blanker Gewalt und Brutalität im Vorhinein erstickt wurde. Nochmals Rudolf Reder:
„Die Männer wurden zuerst mit Bajonetten vorangetrieben, man stach auf sie ein, während sie zu den Gaskammern rannten. Die askars steckten 750 in jede Kammer. Bis alle sechs Kammer gefüllt waren, hatten die Menschen in der ersten schon zwei Stunden lang gelitten. Erst wenn alle sechs Kammern so dicht mit Menschen vollgepackt waren, dass man die Türen kaum schließen konnte, wurde der Motor angelassen.“
Die Ermordung der Juden war nicht human, wie die Vordenker des Holocaust das mehrmals schriftlich ventiliert hatten und wie es Hitler persönlich in seinem politischen Testament behauptete, sondern sie war ein einziges brutales und sadistisches In-die-Länge-ziehen des Sterbens, eine teuflisch ausgetüftelte Perversion des Sterbeprozesses. Was Reder berichtet, bestätigt der SS-Offizier Gerstein, von Rolf Hochhuth in seinem Drama Der Stellvertreter literarisiert, in seinem bereits zitierten Bericht:
„Eine Jüdin von etwa 40 Jahren, mit flammenden Augen, ruft das Blut, das hier vergossen wird, über die Mörder. Sie erhält 5 oder 6 Schläge mit der Reitpeitsche ins Gesicht vom Hauptmann Wirth persönlich, dann verschwindet auch sie in der Kammer. […] Die Kammern füllen sich. Gut vollpacken – so hat es der Hauptmann Wirth befohlen. Die Menschen stehen einander auf den Füßen. 700-800 auf 25 Quadratmetern, in 45 Kubikmetern! Die SS zwängt sie physisch zusammen, soweit es überhaupt geht. – Die Türen schließen sich. Währenddessen warten die anderen draußen im Freien, nackt. Man sagt mir: Auch im Winter genau so! Ja, aber sie können sich ja den Tod holen, sage ich. – Ja, grad for das sinn se ja doh! sagt mir ein SS-Mann darauf in seinem Platt.“
In den Lagern der Aktion Reinhard starben binnen eineinhalb Jahren geschätzt um die zwei Millionen Menschen. Nach Aussagen früherer Häftlinge, die in den so genannten Totenkommandos eingesetzt waren – also die Leichen aus den Gaskammern zerren und vergraben beziehungsweise späterhin verbrennen mussten –, wurden an manchen Tagen 20.000 Juden ermordet, manche sprechen sogar von 30.000. Der Tod in der Gaskammer kam dabei nicht schnell; auch dieser letzte Akt wurde von den Tätern qualvoll in die Länge gezogen. Wieder Kurt Gerstein:
„[…] Der Diesel funktioniert nicht! Der Hauptmann Wirth kommt. Man sieht, es ist ihm peinlich, dass das gerade heute passieren muss, wo ich hier bin. Jawohl, Ich sehe alles! Und ich warte. Meine Stoppuhr hat alles brav registriert. 50 Minuten, 70 Minuten [?] – der Diesel springt nicht an! Die Menschen warten in ihren Gaskammern. Vergeblich! Man hört sie weinen, schluchzen … Der Hauptmann Wirth schlägt mit seiner Reitpeitsche den Ukrainer, der dem Unterscharführer Hackenholt beim Diesel helfen soll, 12, 13 mal ins Gesicht. Nach zwei Stunden 49 Minuten – die Stoppuhr hat alles wohl registriert – springt der Diesel an. Bis zu diesem Augenblick leben die Menschen in diesen 4 Kammern, viermal 750 Menschen in 4 mal 45 Kubikmetern! – Von neuem verstreichen 25 Minuten. Richtig, viele sind jetzt tot. Man sieht das durch das kleine Fensterchen, in dem das elektrische Licht die Kammern einen Augenblick beleuchtet. Nach 28 Minuten leben nur noch wenige. Endlich, nach 32 Minuten, ist alles tot!“
Insgesamt 3 Stunden 21 Minuten dauerte es also, bis diese dreitausend Juden tot waren. Allerdings standen manche von ihnen nicht nur diese drei Stunden, sondern noch länger in ihrer „Kammer“, denn der Benzinmotor, mit dessen Abgasen die Juden getötet wurden, wurde natürlich erst angelassen, als alle Kammern belegt waren. Wer also mit in die erste Gaskammer gegangen war, der musste das Füllen aller Kammern, den anschließenden Motorschaden und schließlich das Wirken des Gases selbst abwarten, bis endlich der Tod eintrat, insgesamt wohl deutlich über vier Stunden.
Selbst hier müssen wir noch bedenken, dass ein Deportationszug mit sechzig Waggons sechstausend Menschen fassen konnte. Das bedeutet, dass die in diesem Fall restlichen dreitausend Opfer draußen vor dem Lager in ihren Güterwaggons warteten, bis sie „an der Reihe waren“. Im Ungewissen, natürlich, und ohne jede Versorgung durch Begleit- oder Lagermannschaft.
Dennoch: der Tod der Juden durch Motorenabgase, wie ihn Gerstein bei seinem Besuch in Belzec beschreibt, war noch nicht einmal das schlimmste Los, das die Juden in der Aktion Reinhard treffen konnte. Chil Rajchman beschreibt nämlich, was in Treblinka offenbar üblich war:
„An den Tagen, an denen die Herren durch das Vernichtungskommando in Lublin telefonisch unterrichtet wurden, dass am folgenden Tag kein Transport kommen würde, sperrten die Mörder die Menschen aus reinem Sadismus in den Gaskammern ein und ließen sie da, so dass sie aus Mangel an Luft den Erstickungstod starben. Einmal sind sie achtundvierzig Stunden so darin geblieben, und als die Klappen geöffnet wurden, röchelten einige und gaben noch Lebenszeichen von sich.“
Diese Schilderung wird von Rajchmans Kameraden Jankiel Wiernik, ebenfalls einem Treblinka-Überlebenden, bestätigt:
„Wie ich schon bemerkt habe, gab es nicht viel Platz in den Gaskammern. Die Menschen erstickten einfach durch die Überbelegung. Der Motor, der das Gas für die neuen Kammern erzeugte, funktionierte nicht richtig, und so mussten die hilflosen Opfer stundenlang leiden, bevor sie starben. Satan selbst hätte sich keine teuflischere Methode ausdenken können. Als man die Kammern wieder öffnete, waren viele der Opfer nur halbtot und mussten mit Gewehrkolben, durch Kugeln oder schwere Tritte getötet werden. Häufig wurden Menschen die ganze Nacht in den Gaskammern gelassen, ohne den Motor anzustellen. Überbelegung und Luftmangel tötete viele von ihnen auf eine äußerst schmerzhafte Art. Jedoch überlebten viele diese nächtlichen Torturen – vor allem die Kinder waren auffallend widerstandsfähig. Sie waren noch am Leben, als man sie am Morgen aus den Kammern zog, aber die Deutschen machten mit Revolvern kurzen Prozess mit ihnen.“
Zehn-, vielleicht Hunderttausende wurden noch nicht einmal vergast – sondern man ließ sie, ihre Körper aneinandergeklebt, qualvoll und über Stunden hinweg ersticken, nachdem sie bereits Tage im engen, stickigen Güterwaggon zugebracht hatten. Wenn aber mit Gas getötet wurde, so kam es auch hier immer wieder zu Fällen, in denen Einzelne durch Bewusstlosigkeit die Vergasung überlebt hatten, draußen wieder zu sich kamen und dann kurzerhand erschossen wurden.
Wer aber nicht erschossen wurde, wurde lebendig begraben. Das galt für die Vergasten, aber auch für diejenigen, die zu schwach für den Gang zur Gaskammer waren und daher in allen drei Reinhard-Lagern ins so genannte Lazarett gebracht wurden, einer separaten, als Krankenstation getarnten Erschießungsgrube, an deren Rand sie gesetzt und dann erschossen wurden. „Nachschüsse“, so schreibt die Historikerin Berger, „wurden nicht abgegeben.“
Das Lebendigbegraben der Opfer war dabei kein Einzelfall. In der auf die Shoa umgedichteten Version des Male Rachamim, eines jüdischen Totengebetes, die durch den Spielfilm Der Garten der Finzi Continiweltbekannt wurde, wird ausdrücklich jener gedacht, „die lebendig begraben wurden für die Heiligung Deines Namens“. Chaim Hirszman, neben Reder der einzige andere Überlebende von Belzec, beschrieb kurz nach dem Krieg, wie Säuglinge und Kleinkinder eines Transports kurzerhand in eine große Grube geworfen und dann mit Erde bedeckt wurden; dass viele von ihnen noch am Leben waren, sah Hirszman daran, dass sie sich unter der Masse der Erde noch eine Zeitlang bewegten. Gas für sie zu verwenden, wäre, so das sadistische Kalkül der Mörder, Verschwendung gewesen. Sara Berger weist ausführlich nach, wie üblich es in allen Reinhard-Lagern war, Kleinkinder und Säuglinge direkt bei der Ankunft im Lager an den Beinen zu packen und ihre Köpfe oder Körper an einer Wand zu zerschmettern.
Selbst die eigentliche Vergasung in den Reinhard-Lagern war nicht schmerzlos, sondern qualvoll. Christian Wirth, ein äußerst sadistischer Polizeihauptmann, der von SS-Gruppenführer Odilo Globocnik, dem Koordinator der Aktion Reinhard, mit der Inspektion der Todeslager betraut worden war, ließ in diesen Lagern nur zu Anfang mit dem relativ schmerzfreien Kohlenmonoxid töten. Bald darauf ging er zu Benzinabgasen über, die die Lungen der Opfer unnötig reizten und, anders als reines Kohlenmonoxid, das Menschen bekanntlich quasi „einschlafen“ lässt, zu einem qualvollen Erstickungstod führten.
Der Prozess der Ermordung der europäischen Juden war eine von Anfang bis Ende durchchoreographierte Orgie der Gewalt, der besonderen, sinnlosen Erniedrigung, Demütigung und Quälerei. „In Treblinka eine Kugel zu bekommen, war ein Luxus“, zitiert der russische Romancier Wassili Grossman in seinem Bericht Die Hölle von Treblinka, der seit Jahrzehnten nicht auf Deutsch vorliegt, einen Augenzeugen. Das galt für die in den Vernichtungslagern eingesetzten jüdischen Arbeitskommandos, die, ebenfalls entgegen einer beliebten Legende, entsetzlicher Gewalt und Brutalität ausgesetzt waren; aber auch für die zur sofortigen Ermordung Bestimmten.
Dass der Tod im Gas nicht „human“ und keine „Gnade“ war, war den unmittelbaren Tätern im Übrigen glasklar, ebenso wie den zur Kollaboration gezwungenen Juden. In seiner bekannten Befragung durch die legendäre Holocaust-Forscherin Gitta Sereny aus dem Jahr 1971 schildert der zweite Kommandant von Treblinka, Franz Stangl, der im dritten Treblinka-Prozess 1970 vom Landgericht Düsseldorf zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, folgende Begebenheit.
„Aber am meisten habe ich mit dem Blau geredet, ihm und seiner Frau. Ihn hab ich zum Koch ernannt, im Arbeitslager. Er und seine Frau hatten eine Kammer, ein kleines Zimmer, neben der Küche. Der hat gewusst, ich würde immer helfen, wo ich konnte.
Eines Tages klopfte er in der Früh an die Tür von meinem Büro, kam herein, stand hab Acht und bat um Erlaubnis, mit mir zu sprechen. Er schaute sehr besorgt aus. Ich sagte: „Aber natürlich, Blau. Kommens herein. Was haben Sie denn auf dem Herzen?“ Er sagte, es war sein 80jähriger Vater; er sei diesen Morgen mit dem Transport angekommen. Könnte ich etwas tun? Ich hab gesagt: „Also, Blau, Sie müssen verstehen, das ist unmöglich. Ein Mann von achtzig.“ Er sagte schnell, ja, das verstehe er natürlich. Aber dürfte er mich um Erlaubnis bitten, seinen Vater ins Lazarett zu führen (wo die Opfer erschossen wurden) statt in die Gaskammer. Und könnte er seinen Vater erst in die Küche nehmen, um ihm etwas zu essen zu geben. Ich hab gesagt: „Ja, tuns, was Sie fürs Beste halten, Blau. Offiziell weiß ich nichts davon. Aber inoffiziell können Sie dem Kapo sagen, ich hab gesagt, es geht in Ordnung.“
Am Nachmittag, als ich in mein Büro zurückkam, war er schon wieder da und wartete auf mich. Er hatte Tränen in den Augen. Er stand hab Acht und sagte: „Herr Hauptsturmführer, ich wollt mich nur bedanken. Ich hab meinem Vater zu essen gegeben, und ich hab ihn gerad ins Lazarett geführt – es ist schon alles vorüber. Dank Ihnen vielmals.“ Ich hab gesagt: „Ja, Blau, da ist ja gar kein Grund, mir zu danken. Aber natürlich, wenn Sie mir danken wollen, dann können Sie es tun.““
Dass Stangl hier sein Verhältnis zum Oberkapo Blau, der der SS als Spitzel unter den „Arbeitsjuden“ diente und nach der Liquidierung von Treblinka angesichts seiner bevorstehenden Ermordung Selbstmord beging, unsäglich romantisiert und sich als paternaler Wohltäter gegenüber „seinen Arbeitsjuden“ inszeniert, hat schon Gitta Sereny empört und bedarf keiner besonderen Erörterung. Aber aufschlussreich ist die Passage allemal, denn sie zeigt, wie es in den so genannten Todesfabriken eigentlich zuging und dass ein SS-Führer, der einem jüdischen Greis eine Wohltat erweisen wollte, diesen statt in die Gaskammer ins so genannte Lazarett schickte, weil er ganz klar wusste, was den Juden auf dem Weg durch den „Schlauch“ und in der Gaskammer bevorstand und dass sie dort alles andere als ein leichter Tod erwartete. –
Die Ermordung der europäischen Juden durch das Deutsche Reich lässt sich grob in drei Etappen einteilen: die Einsatzgruppenmorde, auch bekannt als „Kugel-Holocaust“, die hauptsächlich zwischen Juni 1941, also dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, und Mitte 1942 stattfanden; der Aktion Reinhard 1942 und 43, der hauptsächlich, aber nicht ausschließlich die in Polen ghettoisierten Juden zum Opfer fielen, sofern diese nicht bei einzelnen Massenerschießungen, insbesondere im Baltikum, ermordet wurden; und dem Massenmord in Auschwitz, der Ende 1941 begann, seine dichteste Phase aber erst mit der so genannten Ungarnaktion 1944 erlebte, als fast vierhunderttausend ungarische Juden in wenigen Monaten dort vergast wurden. Die Verschleppung der deutschen und westeuropäischen Juden vollzog sich im großen Stil ab Anfang 1942; dabei kristallisierte sich, insbesondere aus logistischen Gründen, zwar bald Auschwitz als zentrale Anlaufstelle heraus; jedoch landeten auch viele westeuropäische Transporte in den Reinhard-Lagern, insbesondere in Sobibor und Treblinka.
Die Gesamtzahl der in Auschwitz ermordeten Juden wird von der Forschung auf etwa eine Million geschätzt, wobei die als Arbeitshäftlinge Umgekommenen mitgezählt werden. Während die Juden der sowjetischen Westgebiete zumeist durch die Einsatzgruppen erschossen und die polnischen Juden, wie gesagt, fast ausschließlich in den Reinhard-Lagern oder den diesen vorgeschalteten Durchgangslagern ermordet wurden – wenn sie nicht schon zuvor in den Ghettos oder beim Transport gestorben waren –, „landeten“ in Auschwitz vor allem jene Juden, die erst spät in den Zugriff des Reichssicherheitshauptamts kamen: etwa die italienischen Juden nach dem Seitenwechsel Italiens ab Oktober 1943 oder die griechischen Juden ab derselben Zeit, jene von den griechischen Inseln sogar erst Mitte 1944 sowie insbesondere die ungarischen Juden im Rahmen der so genannten Ungarn-Aktion zwischen Mitte Mai und Mitte Juli 1944, in deren Verlauf ca. 380.000 der etwa 430.000 nach Auschwitz verschleppten Juden unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Sie kamen deshalb nach Auschwitz, weil zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung alle drei Reinhard-Lager bereits wieder geschlossen waren.
In Auschwitz wurde bekanntlich mit Zyklon B gemordet, das der Lagerführer des Stammlagers Auschwitz I, SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch, erstmals Ende 1941 an sowjetischen Kriegsgefangenen „erprobt“ hatte und das dann von seinem Vorgesetzten Rudolf Höß übernommen wurde. Höß selber beteuerte nach dem Krieg in polnischer Haft, er sei bei seinem Besuch in Treblinka im Sommer 1942 von der nackten Brutalität bei der so genannten Transportabfertigung so entsetzt gewesen, dass für ihn bei der Behandlung „seiner“ Deportierten in Auschwitz die „Täuschung“ der Opfer zur obersten Priorität geworden sei.
Diese Täuschung ist Höß tatsächlich gelungen, aber anders, als man denken mag. Denn die Nachwelt denkt, wenn sie das Wort „Vernichtungslager“ hört, fast ausschließlich an Auschwitz-Birkenau. Doch gerade Auschwitz, das so zum Inbegriff der Hölle wurde, nahm im System der Konzentrationslager und auch der Vernichtungslager eine Sonderstellung ein. In Auschwitz kamen zahlreiche bürgerliche Juden aus den Metropolen West- und Südeuropas an, in denen die SS-Offiziere bei der Selektion an der „Rampe“ manchmal Standesgenossen erkennen mochten. In Auschwitz lebten Zehntausende Arbeitshäftlinge, sehr viele von ihnen Nichtjuden, die teils eng in Kontakt mit dem „Vernichtungsbereich“ kamen.
In Auschwitz gab es keinen „Schlauch“, und in Auschwitz führte ein Kader altgedienter SS-Offiziere das Regime, die zwar in der Regel fanatische Nazis waren, die aber auch eine gewisse Disziplin unter ihren Männern aufrechterhalten wollten. Das Personal in den „Reinhard“-Lagern dagegen bestand – abgesehen vom Führungspersonal um Wirth, Stangl und einige andere – zum überwiegenden Teil aus Angehörigen des Kleinbürgertums und der Unterschicht, Krankenpflegern und „Leichenbrennern“ aus den Krankenmordanstalten der „Euthanasie“, denen man bei der Abstellung zur Judenvernichtung lediglich Nenn-Dienstgrade verliehen hatte und die hier, in bewusster Isolation vom Rest der Welt, ihre niedersten Triebe und Instinkte an den ihnen zur Ermordung Ausgelieferten hemmungslos austoben konnten und womöglich, und anderslautenden Äußerungen etwa Heinrich Himmlers zum Trotz, auch sollten.
Die heutige Filmindustrie hat kaum ein Tabu mehr offengelassen. Um eine explizite und realistische Darstellung des Todes in der Gaskammer macht sie dennoch einen großen Bogen. Das zeigt sich anhand dreier Filme jüngeren Datums, die am Versuch, den Tod in der Gaskammer realistisch auf die Leinwand zu bringen, gescheitert sind.
Son of Saul, der ungarische Low-Budget-Film von Laszlo Nemes, der 2016 mit dem „Fremdsprachen-Oscar“ ausgezeichnet wurde und den Aufstand des jüdischen Sonderkommandos vom Oktober 1944 schildert, zeigt zwar – stets aus dem Blickwinkel der Hauptfigur – das Innere einer Gaskammer nach einer Vergasung, deutet den Schmutz und das Chaos, die dort geherrscht haben müssen, dabei aber nur an. Ähnliches ist von The Grey Zone (2001) zu sagen, als ein Remake dessen Son of Saul stellenweise gelesen werden kann.
Werk ohne Autor, der dritte Film des deutschen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, der 2018 in die Kinos kam, bei der Oscarverleihung 2019 aber leer ausging, zeigt explizit, wie die Tante der Hauptfigur, bekanntlich eine Verschlüsselung des Malers Gerhard Richter, in einer Gaskammer der so genannten Euthanasieaktion durch Kohlenmonoxid stirbt. Richtig an der Darstellung ist, dass der Tod durch reines CO wesentlich schmerzloser ist als der durch Zyklon B oder gar durch Benzinabgase; auch war die Täuschung der Opfer bei diesen Morden, die im Reichsgebiet, quasi in Rufweite der Angehörigen und an überwiegend nicht-jüdischen Reichsbürgern verübt worden, ein unerlässlicher Faktor, musste man doch mit einer Öffentlichkeit rechnen. Aber dennoch waren auch die Kammern in den Euthanasieanstalten, wie ebenfalls Sara Berger gezeigt hat, oftmals heillos überfüllt, was, wie bei der Judenvernichtung, auch hier den Opfern die letzten Illusionen rauben musste: denn bei einer so dichten Raumbelegung ist an eine vernünftige Körperreinigung, wie sie von den Tätern suggeriert wurde, nicht zu denken; dass seine Reise hier zu Ende war, musste durch die unnatürliche räumliche Enge in den Gaskammern auch dem Letzten schlagartig klar werden.
Auch Sobibor, ein Film des russischen Regisseurs Konstantin Chabensky, ebenfalls aus dem Jahr 2018, vermittelt kein realistisches Bild von der Transportabfertigung und Vergasung in einem Vernichtungslager der Aktion Reinhard. Die Aussonderung einiger weniger Juden zum Dienst im Sonderkommando – eigentliche Selektionen wie in Auschwitz gab es in den Reinhard-Lagern bekanntlich nicht, ca. 97 Prozent eines Transportes wurden vergast –, das Auskleiden, der Gang in die Gaskammer, schließlich der Tod dort, wobei die Opfer genügend Platz haben, gepflegt umzufallen: all das vollzieht sich in diesem Film in einer Gesittetheit und Zivilität, die mit den tatsächlichen Vorgängen in Belzec, Sobibor und Treblinka und sicher auch in Auschwitz und in den Euthanasie-Tötungsanstalten wenig zu hat.
Der Tod im Holocaust war nicht steril noch human. Man musste nicht nur, wie Hochhuth seinen Doktor im Stellvertreter zynisch räsonieren lässt, „ein paarmal inhalieren“ und saß dann „zur Rechten Gottes“. Nein: das Sterben beziehungsweise das Gestorbenwerden in den Todesfabriken Hitlers war brutal, gewaltvoll, sadistisch und ekelhaft. Ukrainische Wachmänner sollen vor der Gaskammer von Belzec nackten jüdischen Frauen die Brüste abgeschnitten haben. Kleinkinder wurden beim „Befüllen“ der Gaskammern über die Köpfe der Erwachsenen hinweg in den Raum geworfen.
Ins öffentliche Gedächtnis ist davon, wie gesagt, wenig gedrungen. Der Demjanjuk-Prozess vor dem Landgericht, der die Identität eines jener ukrainischen Wachmänner klären sollte, die dem deutschen SS-Stammpersonal an sadistischem Einfallsreichtum häufig nicht nachstanden, warf vor rund zehn Jahren nochmals ein blasses Schlaglicht auf die Reinhard-Morde; Augenzeugenberichte, wie sie in diesem Beitrag mehrfach zitiert wurden, lagen oftmals schon bei Kriegsende, manche gar schon während des Krieges vor und wurden weltweit publiziert; die Fachliteratur hat das Thema intensiv ausgeleuchtet: dennoch – die Verdrängung des Grausamen, Barbarischen Sadistischen des Todes im Vernichtungslager war im Großen und Ganzen erfolgreich.
Dass es in den „Lagern der Nazis“, wie es gern verallgemeinernd heißt, brutal und menschenverachtend zuging, wird dabei nicht bestritten. Nur wird ein anderer Schwerpunkt gesetzt: man fokussiert sich auf die Zustände in den Arbeitslagern, Auschwitz I und Monowitz eingeschlossen: die Mangelernährung, das Unwesen der Kapos, die Lagerstrafen, Prügelbock und Hungerbunker, die Erschießungen an der berüchtigten „Schwarzen Wand“, Gewaltexzesse beim Verhör durch die Lager-Gestapo und ähnliches; geht es aber um die, „die gleich ermordet wurden“, überwiegt der unausgesprochene Eindruck, die hätten es noch „am besten erwischt“.
Dabei ist es umgekehrt: wer selektiert wurde, hatte eine Chance zu überleben, und war sie auch noch so gering; sein Leben hatte einen minimalen Wert behalten, auch für die Täter, denen es, wie Christian Gerlach gezeigt hat, nur sekundär um „Vernichtung durch Arbeit“, primär aber um das Erreichen ihrer wirtschaftlichen Ziele und um einen reibungslosen organisatorischen Ablauf ging, um derentwillen situativ sogar Rücksicht auf einzelne Häftlinge oder Häftlingsgruppen, darunter auch Jüdinnen und Juden, genommen werden konnte.
Wer aber zum Sterben bestimmt war, auf den brauchte man keinerlei Rücksichten mehr zu nehmen; er, nicht die „Arbeitsfähigen“, war das bevorzugte Objekt einer grenzenlos gewaltvollen, sadistischen Phantasie.
Dass der Holocaust sauber gewesen sei, ist eine Lüge, die seine Initiatoren gleich zu Anfang in die Welt setzten und die heute von vielen gutgläubig perpetuiert wird. Es bestehe, schrieb der SS-Offizier Rolf-Heinz Höppner an Adolf Eichmann am 16. Juli 1941, also in der Frühphase des Mords an den sowjetischen Juden,
„in diesem Winter die Gefahr, dass die Juden nicht mehr sämtlich ernährt werden können. Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen.“
Zum Zeitpunkt des Briefes tobten seit kaum einem Monat die Einsatzgruppenmorde. Viele NS-Funktionäre, die in den neu eroberten Gebieten nun Statthalterposten innehatten, beschwerten sich über die Form der Massenerschießungen, die zwangsweise in der Öffentlichkeit stattfanden, und wünschten eine „diskretere Lösung“. Auf ihre Initiative griff man auf Vergasung als Methode zurück, die man schon von den Krankenmorden im Reich sowie in Polen kannte. Und so heißt es in dem Entwurf zu einem Brief an den „Reichskommissar für das Ostland“ (i.e. das Gebiet der 1941 eroberten drei baltischen Sowjetrepubliken) Hinrich Lohse, den der Amtsgerichtsrat im Reichsministerium für die Besetzten Ostgebiete Erhard Wetzel drei Monate nach Höppners Brief, am 25. Oktober 1941, konzipierte und der als „Gaskammerbrief“ bekannt geworden ist:
„Unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 18. Okt. 1941 teile ich Ihnen mit, dass sich Herr Oberdienstleiter Brack von der Kanzlei des Führers bereit erklärt hat, bei der Herstellung der erforderlichen Unterkünfte sowie der Vergasungsapparate mitzuwirken. […] Nach Sachlage bestehen keine Bedenken, wenn diejenigen Juden, die nicht arbeitsfähig sind, mit den Brackschen Hilfsmitteln beseitigt werden. Auf diese Weise dürften dann auch die Vorgänge, wie sie sich bei den Erschießungen der Juden in Wilna … ergeben haben, und die auch im Hinblick darauf, dass die Erschießungen öffentlich vorgenommen wurden, kaum gebilligt werden können, nicht mehr möglich sein.“
Was das aber für die Opfer bedeutete, wollte dieser Beitrag zeigen. „Humaner“ war der Tod im Vernichtungslager höchstens für die Mörder, nicht für die Opfer. Für die Opfer bedeutete er ein barbarisches Sterben oder vielmehr noch: ein Gestorbenwerden, wie der französische Philosoph Jean-François Lyotard in seinem Buch Le Différend 1983 argumentierte; ein Gestorbenwerden, weil dem Opfer noch die geringste Nuance seines Sterbeprozesses aus der Hand genommen und pervertiert und es so ganz zum Objekt des Willens seiner Mörder gemacht wird: sei es bei der unmenschlichen Hetze mit Schwertern und Bajonetten durch den „Schlauch“ hin zur Gaskammer; sei es beim erzwungenen Warten vor der Gaskammer nackt und bei eisigen Temperaturen im Winter, bei dem kleinen Kindern oft die Füße an der Erde festfroren; sei es beim „Tod durch Überbelegung“ in der Gaskammer, wo dem Opfer noch die letzte Gnade einer erlösenden Vergiftung verwehrt wird und es stattdessen an in die Länge gezogener Entkräftung langsam eingeht, verwesend bei atmendem Leib.
Das war der Holocaust für die meisten seiner Opfer, kein selbstbewusstes In-den-Tod-Gehen gereckten Hauptes. Von dieser letzten Legende Hitlers: dass die Ermordung der europäischen Juden durch „humane Mittel“ geschehen sei, einer Legende, die durch die beliebte technizistische Phrase vom „industriellen Massenmord“ leider noch befeuert wird, sollte sich die Nachwelt, wenigstens die deutsche, heute, fünfundsiebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und dem Ende der Shoa, endgültig verabschieden.
© Konstantin Johannes Sakkas, 2019. All rights reserved. Header: Skulptur „Treblinka“ von Vadim Sidur, 1966, Standort: Amtsgerichtsplatz Berlin. Quelle: Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin/www.berlin.de