Krüppel in Rüschenblusen

Nach „Jackie“ widmet sich Pablo Larraín mit seinem intimen Diana-Portrait „Spencer“ der nächsten Ikone des 20. Jahrhunderts

2022 wird ein Diana-Jahr. Zwar hätte die einstige Princess of Wales ihren sechzigsten Geburtstag 2021 gefeiert; doch 2022 jährt sich ihr Tod zum 25. Mal. Passend dazu erscheint nicht nur die fünfte Staffel der Netflix-Serie The Crown mit Dianas Ehekrise und Unfalltod im Zentrum, sondern auch ein neues Biopic.

Pablo Larraín und einsame, zerbrechliche und starke Frauen: das passt. Schon seine Jackie ging unglaublich in die Tiefe, und wäre Emma Stone nicht ihre Konkurrentin gewesen, so wäre Natalie Portman der Oscar für ihre Jacqueline Kennedy wohl sicher gewesen. Eine heiße Kandidatin für den diesjährigen Academy Award als beste Hauptdarstellerin dürfte nun Kristen Stewart sein: Der Twilight-Star spielt in Larraíns Spencer die Lady Di, den Kopf ewig schräg gelegt, fein und fragil wie Michelle Williams in Ridley Scotts Alles Geld der Welt, wo es auch um das Empowerment einer von tyrannischen Familienstrukturen erstickten Frau geht. 

An Scotts Getty-Epos erinnern auch die fabelhaften, gedämpft kolorierten englischen Panoramen (sie wurden großenteils in Brandenburg und Hessen gedreht), auch denkt man an Stanley Kubricks Barockoper Barry Lyndon, an Brideshead Revisited, The Favourite. Die Schönheit und Scheußlichkeit des Englischen weiß der Chilene Larraín zu inszenieren wie kaum ein anderer. Dazu bei trägt, wie schon in Jackie, auch hier ein perfekter Soundtack, für den er sich diesmal die Hilfe von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood geholt hat. Dessen Musik changiert zwischen fiebrigem Jazz, der an die Serie Homeland und seine, ebenfalls missverstandene, Heroine Carrie Mathison denken lässt, und depressiver barocker Streichmusik. 

Eingeengt noch durch die hier streng observierte Einheit von Zeit, Ort und Handlung spielt der Film an den drei Weihnachtstagen 1991 auf Schloss Sandringham, durch Stacheldraht abgeschottet von der Außenwelt. Wie sehen, wie die bulimische Diana über der Kloschüssel hängt und sich nachts in die Küche stiehlt; wie sie sich – auch hier grüßt Jackie – mit dem Personal wie dem bärbeißig-fürsorglichen Chefkoch Darren (Sean Harris) verbrüdert, um wenigstens ein bisschen Menschlichkeit zu erfahren; wie sie mit William und Harry kleine Inseln der Flucht vor der gefühlsgestörten Familie baut, deren fiese Reglements ihr das Leben zur Hölle machen: so lässt der Haushofmeister mit seinem festgefrorenen Fischgesicht (Timothy Spall) gar die Vorhänge ihres Gemachs zunähen, „aus Schutz vor Paparazzi“. Brutal ehrlich, nicht idealisierend wie in The Crown ist hier Stella Gonets Portrait der Queen. Krüppel in Ringelsöckchen, so sah die Adelsaussteigerin Elisabeth Plessen sich und ihre Geschwister unter der väterlichen Zucht; hier sind es Krüppel in Lodenmänteln und Rüschenblusen. Der einzige freie Mensch unter ihnen, nicht die Medienhure, die sie bis heute gescholten wird – Diana.

Der begegnet in Visionen immer wieder der Geist Anne Boleyns (Amy Manson), während Holbeins fleischiges Portrait ihres mörderischen Gatten Heinrich VIII. über der Familientafel lauert. Ihre einzige Vertraute ist ihre Kammerzofe Maggie (Sally Hawkins), die ihr in einer Sanddüne offenbart: „Ma‘am, ich bin verliebt in Sie. Wenn ich daran denke, wie oft ich Sie nackt gesehen habe“, worauf die beiden loslachen und schäkern wie gute, alte Freundinnen. In der Schlussszene im rettenden London – im Radio läuft Mike Rutherfords All I need is a miracle – bestellt Diana aus dem ikonischen Porsche 964 heraus bei KFC Burger und Cola für sich und ihre Söhne. „Auf welchen Namen?“ „Spencer“. 

© Konstantin Johannes Sakkas, 2022

„Spencer“ (Regie: Pablo Larraín, Drehbuch: Steven Knight, 111 min.) hatte im September 2021 bei den Filmfestspielen Venedig Premiere und kommt am 27. Januar 2022 in die deutschen Kinos.

Bild: Diana (Kristen Stewart) am Steuer. © Pablo Larraín/DCM