8. August 1918 – Der schwarze Tag des deutschen Heeres 

Am 21. März 1918 begann die letzte deutsche Offensive: die „Große Schlacht um Frankreich“. Nach 1916, dem bisher schwersten Jahr des Krieges, hatte sich das Blatt 1917 durch die russische Revolution, den Sieg über Rumänien und das Scheitern der alliierten Offensiven im Westen für Deutschland gewendet. Allerdings waren im selben Jahr die USA auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten. Man rechnete damit, dass 1918 ihre Truppen in voller Stärke auf dem europäischen Festland angekommen würden. Gegen diese Übermacht würde Deutschland keine Chance haben.
Die Oberste Heeresleitung, die längst die faktische Macht im Deutschen Reich ausübte, sah sich unter Zugzwang. Durch den Frieden von Brest-Litowsk, der am 3. März 1918 zwischen Mittelmächten und bolschewistischem Russland geschlossen wurde, wurde eine Million deutsche Soldaten für die Westfront frei. Mit ihnen wollten Hindenburg und Ludendorff eine schnelle Entscheidung herbeizwingen. Ziel war ein Verständigungsfrieden. Es ging nicht mehr um Annexionen, wie sie einst im Septemberprogramm 1914 vor allem von den nationalistischen Alldeutschen lautstark gefordert worden waren, sondern nur noch um die Sicherung Deutschlands als souveräne Macht in Europa.

Keine Woche war seit der Ratifizierung des Brest-Litowsker Friedens vergangen, da gingen zweihundert deutsche Divisionen mit 3,5 Millionen Mann zum Angriff über. „Operation Michael“ war die erste von insgesamt fünf Offensiven im letzten Kriegsjahr. Drei deutsche Armeen griffen an der Aisne an, um einen Keil zwischen Briten und Franzosen zu treiben. Nach großen Anfangserfolgen geriet die Offensive ins Stocken. Nach der vergeblichen Belagerung von Amiens Anfang April wurde sie abgebrochen.

Unmittelbar im Anschluss ließ Ludendorff seine Truppen in Flandern vorrücken. Hier wollte er die britischen Truppen getrennt von ihren französischen Verbündeten zu stellen und zu schlagen. „Operation Georgette“, in deren Verlauf besonders heftig um den Kemmelberg bei Ypern gerungen wurde, verlief zwar erfolgreicher als „Michael“, wurde aber am 29. April auf Befehl Ludendorffs ebenfalls eingestellt. Er brauchte Soldaten für den entscheidenden Durchbruch, und der sollte, wie schon 1914, auf Paris zielen.

So begann am 27. Mai die Operation „Blücher-Yorck“. 42 deutsche Divisionen gingen an der Marne vor. Dank der flexiblen Stoßtrupptaktik drangen sie in den ersten Tagen tatsächlich 30 Kilometer weit vor, nahm 60.000 Franzosen gefangen und näherte sich Paris bis auf 92 Kilometer. Das „Paris-Geschütz“ feuerte mitten in die Stadt hinein. Parallel dazu griffen deutsche Einheiten an der Matz weiter nördlich an („Operation Gneisenau“), um Paris in einer Zangenbewegung einzunehmen. Doch inzwischen erhielten die Franzosen monatlich mehrere Hunderttausend amerikanische Soldaten Verstärkung, während die Deutschen ihre Verluste nicht ausgleichen konnten. Denn trotz der Friedensschlüsse mit Russland und Rumänien stand immer noch eine halbe Million Mann im Osten, um die eroberten Gebiete zu sichern. Schließlich verrieten deutsche Kriegsgefangene die Pläne ihrer Führung an die Franzosen. So konnte General Mangin den deutschen Vormarsch am 11. Juni bei Compiègne zurückschlagen. Gegen seine 150 Renault-Panzer waren die mangelhaft motorisierten deutschen Infanteristen machtlos.

Ludendorff unternahm einen letzten Anlauf. Seine fünfte Offensive, „Operation Marneschutz-Reims“, begann am 15. Juli. Sie zielte auf Reims, die alte französische Krönungsstadt in der Champagne. Doch auch diesmal machte ihm ein französischer Gegenangriff unter großem Panzeraufgebot einen Strich durch die Rechnung. Zudem war die deutsche Front um 130 Kilometer überdehnt, längst hatte sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Westmächte verschoben. Am 6. August wurde die Offensive eingestellt.

Nur zwei Tage später gingen die Alliierten mit voller Wucht zum Gegenangriff über. Ihre „Hunderttageoffensive“ begann bei Amiens, wo sie die deutschen Linien durchbrachen und mehrere Kilometer tief vorstießen. Allein der 8. August 1918 kostete die Deutschen 30.000 Mann Verluste. Er ging als „schwarzer Tag des Deutschen Heeres“ in die Geschichte ein. Woche für Woche rückten die Alliierten nun vor, während es auf deutscher Seite immer häufiger zu Befehlsverweigerungen und Waffenniederlegungen kam. Vorrückende Soldaten wurden von ihren Kameraden als „Streikbrecher“ beschimpft. Die Offiziere waren nicht mehr Herr ihrer Mannschaften. Schließlich lag die Hauptkampflinie wieder auf der „Siegfriedstellung“ zwischen Arras im Artois und Soissons in der Champagne. Am 27. September 1918 wurde sie von drei alliierten Armeen bei Ypern durchbrochen. Nun war der Weg nach Deutschland frei. Die Oberste Heeresleitung, eben noch siegesgewiss, alarmierte die Regierung in Berlin und verlangte einen sofortigen Waffenstillstand. Der Krieg war verloren.

© Konstantin Sakkas, Ralf-Georg Reuth, 2016

Dieser Text erschien in Reuth, Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein. München 2014.

Header: Frontverlauf Westfront September/November 1918. Quelle: Wikipedia