Eine Liebe in Berlin

Und wieder eine Romanverfilmung aus der Weimarer Zeit: Dominik Grafs schöne Kästner-Adaption „Fabian“ erzählt von Glanz und Elend des Gutseinwollens

Tom Schilling und Saskia Rosendahl sind das neue Leinwandtraumpaar des deutschen Films. Standen sie in Florian Henckel-Donnersmarcks Werk ohne Autor als Neffe und Tante vor der Kamera, brillieren sie nun in Dominik Grafs Fabian oder der Gang vor die Hunde (nach Erich Kästners Fabian. Die Geschichte eines Moralisten) als Liebespaar, das um seinen Idealismus kämpft. 

Der Film ist eine Mischung aus Fear and Loathing in Las Vegas und La La Land, der Routinier Graf (Hotte im ParadiesGeliebte Schwestern) beherrscht beide Genres: Roadmovie und Romanze. Zugute kommt ihm hier, dass die weibliche Hauptrolle mit der deutschen Emma Stone besetzt ist: die herrliche Saskia Rosendahl braucht in der Rolle der Cornelia Battenberg die Berlin-Mitte-Schnitte nicht zu spielen, sie ist eine, und zwar nicht rotzig, sondern ätherisch.

Wie Burhan Qurbanis Berlin Alexanderplatz (2020) nimmt der Film (auch er eine Hymne an den „Steinhaufen“ Berlin) einen Klassiker der Weimarer Republik zur Vorlage, allerdings ohne ihn – bis auf die Eröffnungssequenz, in der der U-Bahnhof Heidelberger Platz gleichsam als Zeitschleuse fungiert – in die Gegenwart zu transponieren. Glücklich widersteht Graf auch der Versuchung, bloßen 20er-Jahre-Klamauk zu liefern wie die Serie Babylon Berlin. Seine Inszenierung ist zwar durchaus radikal, gerade in den sexuellen Details; doch sein Grundton ist romantisch, das Pornographische nur Koloratur.

Fürs Politische genügen Graf dezente Andeutungen: hier und da SA-Männer, ein Kommilitone mit Nazi-Schnitt an der Friedrich-Wilhelms-Universität, der Fabians (Schilling) Freund Labude (herrlich sensibel und endlich mal kein Bösewicht Albrecht Schuch), durch eine Lüge in den Selbstmord treibt; in der Schlussszene tönt aus dem Rundfunkgerät der Bericht über die Kurfürstendammkrawalle, eine von Goebbels orchestrierte antisemitische Attacke im Herbst 1931, während das Szenenbild in die spätere Bücherverbrennung übergeht. 

Fabian ist Liebesfilm, kein politisches Drama. Sein Horizont ist nicht so sehr der konkrete Sturz in die Barbarei, der sich im Jahr der Handlung 1931 bereits unübersehbar ankündigte (so auch im Film), als die Kaputtheit des sozialen In-der-Welt-seins schlechthin. Die Frage, ob und wie ihr beizukommen sei, erzeugt das intellektuelle Knistern zwischen dem linksliberalen Idealisten Labude, der über Lessing promoviert, und dem abgeklärten Lebemann Fabian, dessen Zynismus man dem sanften Tom Schilling freilich nur mit viel Wohlwollen abnimmt: „Das Zeitalter der Menschenwürde bricht an“, schwärmt der großbürgerliche Labude. „Wenn man das System erst vernünftig gestaltet hat, werden sich auch die Menschen anpassen.“ Der illusionslose Aufsteiger Fabian hält zwar dagegen: „Was nützt dein göttliches System, wenn der Mensch ein Schwein ist?“ – gleichviel, Moralisten sind sie beide.

Moralisch ist auch Cornelia, die hoch hinauswill und dafür auch mit ihrem Chef, dem Filmmagnaten Makart (Aljoscha Stadelmann), ins Bett geht, aber trotzdem keine charakterlose Opportunistin ist. Der Vertrag, den sie für Fabian aufsetzt – „ich liebe Cornelia und werde deshalb ihrer Karriere nie im Wege stehen“ – ist so radikalfeministisch, dass es schon wieder charmant ist. Wenn es moralischen Egoismus gibt, dann den des gerechten Empowerments. 

„Hat die Welt überhaupt Talent zur Anständigkeit?“ Cornelias Antwort: „Man kommt nur aus dem Dreck heraus, wenn man sich dreckig macht.“ Sie hat recht: entscheidend ist nicht das sich dreckig Machen; entscheidend ist die Fähigkeit, zwischen Dreck und Nicht-Dreck zu unterscheiden. 

Fabian oder der Gang vor die Hunde (Regie: Dominik Graf, Buch: ders., Constantin Lieb) kommt am 5. August in die deutschen Kinos. Der Film war auf der diesjährigen Berlinale für den Goldenen Bären nominiert und ist in der Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis 2021.

Header: Saskia Rosendahl in „Fabian“. © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM