Die Dritte Flandernschlacht

Selten hat sich Geschichte so oft wiederholt wie im Ersten Weltkrieg. Die Soldaten im Westen, sofern sie überlebten, kehrten immer wieder zu ihren Schlachtfeldern zurück. im Frühjahr 1917 waren dies der Pas-de-Calais und die Champagne gewesen. Im Sommer wurde es Flandern. Dort hatten sich Deutsche und Franzosen im Herbst 1914 einst den „Wettlauf zum Meer“ geliefert, um sich schließlich einzugraben und im bitteren Stellungskrieg zu verharren.

In Flandern wollten die Briten 1917 den Krieg beenden

Hier wollte Marschall Haig mit seinen Tommies nun den Durchbruch schaffen. Die letzte Großoffensive der Briten war 1915/16 vor Gallipoli auf der Chersonnes kläglich gescheitert, die Sommeschlacht 1916 war mehr ein Entlastungsangriff als eine eigenständige Offensive. In Flandern aber wollte die britische Heeresführung nun ihr Meisterstück liefern. Nach dem Vorspiel von Arras (April) und Messines (Mai/Juni) gingen am 31. Juli zwei britische Armeen auf breiter Front zum Angriff über, unterstützt von der französischen 1. Armee. Ihnen gegenüber lag die 4. deutsche Armee. Ziel der Briten war zuerst einmal, den Zugang zu den deutschen U-Boothäfen an der belgischen Küste abzuschneiden. Seit Monaten tobte in den Weltmeeren der uneingeschränkte U-Bootkrieg, mit dem sich die OHL aus den Fesseln der englischen Hungerblockade befreien wollte. In Reaktion hierauf waren die USA in den Krieg gegen die Mittelmächte eingetreten – das gab der Entente zusätzlichen Auftrieb, konnte sie nun doch hoffen, bald frische Truppen aus Übersee an ihrer Seite zu haben.

3000 Geschütze nahmen die deutschen Gräben unter massives Feuer, mittlerweile ein eingespieltes Ritual. Dann ging es los. Die angreifenden Infanteristen wurden von Maschinengewehrgarben empfangen, die Deutschen wehrten sich mit allen Mitteln, erstmals auch mit Senfgas, das nicht nur die Lunge schädigte, sondern auch die Haut furchtbar verätzte. Die 22 Mark IV-Panzer, der Stolz der britischen Rüstungsindustrie, kamen nur schwerfällig voran, etliche blieben in den unzähligen Granattrichtern stecken, mit denen das Schlachtfeld übersät war. Um Langemarck wurde, wie schon 1914 heftig gerungen, doch diesmal lagen hier keine unausgebildeten Abiturienten, sondern abgehärtete Frontschweine mit drei Jahren Fronterfahrung, die nichts mehr aus der Ruhe brachte.

Die Briten hatten alles gegeben, doch es war nicht genug

Haig wechselte seine Befehlshaber aus und ließ auf Poelkapelle vorrücken. Seine Männer nahmen das Dorf im Nordosten von Ypern unter schwersten Verlusten, doch es reichte nicht. Paschendaele, ein Flecken ein paar Kilometer weiter östlich, hieß das Ziel. Hier wollte Haig die Entscheidung erzwingen. Mitte Oktober begann hier das furchtbarste Gemetzel in der Geschichte des britischen Heeres nach der Somme.  Truppen aus Kanada, Australien und Neuseeland gaben alles für ihr Empire. Die erste Offensive wurde abgeschlagen, Ende Oktober folgte die zweite. Die Deutschen unter ihrem General Sixt v. Arnim – bald hieß er nur noch „Der Löwe von Flandern“ wehrten sich erbittert, doch am Ende waren die Kanadier siegreich. Paschendaele fiel. Doch es war ein teuer erkaufter Sieg. 16.000 Mann kostete die Einnahme des flämischen Dorfes. Und die deutsche Siegfriedlinie hielt noch immer. Die Briten hatten alles gegeben, doch es war immer noch nicht genug. Am 10. November stellte Haig die Offensive ein. Nun setzte er alles auf die bevorstehende Panzerschlacht, die er den Deutschen bei Cambrai liefern wollte Sie sollte den Übergang vom infanteristischen Stellungs- zum motorisierten Bewegungskrieg bringen.

Der junge Leutnant Ernst Jünger erlebte die Dritte Flandernschlacht, das das Jahr 1917 an der Westfront dominierte, als Führer eines Spähtrupps. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Da wir unsere Aufgabe als Späher mit Eifer betrieben, kamen wir oft an Orte, die eben noch unbeschreitbar gewesen waren. So taten wir einen Einblick in das Verborgene, das auf dem Schlachtfeld geschah. Überall stießen wir auf die Spuren des Todes; es war fast, als hause keine lebende Seele in dieser Wüste mehr. Hier lag hinter einer zerzausten Hecke ein Gruppe, die Körper noch von der frischen Erde bedeckt, die nach dem Einschlag auf sie heruntergerieselt war; dort waren zwei Meldeläufer neben einem Trichter, aus dem noch der stickige Dunst der Sprenggase schwelte, zu Boden gestreckt. An einer anderen Stelle fanden wir viele Leichen auf einer kleinen Fläche verstreut: ein in den Mittelpunkt eines Feuerwirbels geratener Trägertrupp oder ein verirrter Reservezug, der hier sein Ende gefunden hatte. Wir tauchten auf, umfassten die Geheimnisse dieser tödlichen Winkel mit einem Blick und verschwanden wieder im Rauch.“

Mythos Paschendaele

In England ist Paschendaele bis heute ein Mythos. Es war das letzte große Blutvergießen an der Westfront. 500.000 Mann, Deutsche und Briten, wurden verwundet, erkrankten oder blieben vermisst. 80.000 starben in der Schlacht, auf den Mohnfeldern Flanderns, die so ungeheures Leid sahen.

 

Der Text erschien 2014 in Ralf-Georg Reuth, Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein (München: Piper). © Konstantin Sakkas, 2014. Header: Schlussszene aus Blackadder, SE04E06 „Goodbyeee“, BBC 1989: Tim McInnerny, Hugh Laurie, Rowan Atkinson, Tony Ronbinson.

100 Jahre Schlacht um Verdun

Am 21. Februar 1916 begann die Schlacht um Verdun. Sie wurde zum Inbegriff des Ersten Weltkriegs, von Stellungskrieg und Materialschlacht, von ungeheuren Verlustziffern und sinnlosem Massensterben. „Blutpumpe“, „Knochenmühle“ – diese Begriffe wurden zu Synonymen für die bis dahin längste und blutigste Schlacht in Europa. Insgesamt 317.000 Soldaten starben, bis die Schlacht am 19. Dezember ohne wesentliches Ergebnis abgebrochen wurde. Dazu kamen fast 400.000 Verwundete, Kranke und Vermisste.Die OHL unter General v. Falkenhayn plante nach den vergeblichen Versuchen in Flandern und Nordostfrankreich, die französische Frontlinie im Süden in Lothringen anzugreifen, dort durchzubrechen und die Front dann „aufzurollen“. Die Festung Verdun, seit dem Mittelalter ein ewiger Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich, hatte eine besondere strategische Bedeutung. Unter Ludwig XIV. hatten die Franzosen ihre Ostgrenze mit einem breiten „Festungsgürtel“ versehen. Diese Festungen wurden nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 ausgebaut. Im Kriegsfall spielten sie eine zentrale Rolle.

Falkenhayns Plan, der im Dezember 1915 unter dem Codenamen „Chi 45“/Operation „Gericht“ von Kaiser Wilhelm II. abgesegnet wurde, sah vor, die Festungsanlagen rund um Verdun unter Ausnutzung des Überraschungseffekts einzunehmen. Dabei sollten die Soldaten auf dem Ostufer der Maas vorrücken, nicht jedoch auf dem Westufer, was von Historikern als schwerer Anfangsfehler angesehen wird.

Am 21. Februar 1916 begann der Angriff. Der französische Oberbefehlshaber Joffre war vorgewarnt worden und hatte um Verdun, das in der Kalkulation des französischen Hauptquartiers eher eine ungeordnete Rolle spielte, Truppen zusammengezogen. In den ersten fünf Tagen machten die Deutschen unter Kronprinz Wilhelm, der dem Projekt Verdun skeptisch gegenüberstand, große Fortschritte. Am 26. Februar kam der Vormarsch ins Stocken. In den nächsten Monaten entbrannten heftige Kämpfe von bis dahin nicht gekannter Brutalität und Verbissenheit. Besonders schwer gerungen wurde um die Forts Douaumont und Vaux, die mehrmals den Besitzer wechselten.

Gesamtstrategisch gab es für die Deutschen während der Kämpfe um Verdun, die sich bis zum 20. Dezember 1916 hinzogen, zwei gewichtige Einschnitte. Im Mai eröffnete der österreichisch-ungarische Generalstabschef Feldmarschall Conrad eine wenig sinnvolle Offensive gegen die Italiener. Die Russen nutzten dies aus und starten im Juni die Brussilow-Offensive im Osten. Infolgedessen musste Falkenhayn vier Divisionen von Verdun abziehen, um den Österreichern zu Hilfe zu kommen.

Am 1. Juli eröffneten die Briten unter Feldmarschall Haig an der Somme nördlich von Verdun eine große Offensive, um die Franzosen zu entlasten. Auch diese neue Offensive zog deutsche Kräfte von Verdun ab. Währenddessen fanden die Kämpfe um die Forts Douaumont und Vaux kein Ende. Der Oberbefehlshaber der 5. Armee, Kronprinz Wilhelm, der von Anfang an gegen die Verdun-Offensive gewesen war, drängte immer mehr auf einen Abbruch der Schlacht.

Inzwischen war am 28. August unter dem Eindruck der russischen Erfolge gegen Österreich Rumänien auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten. Endlich erkannte man im Großen Hauptquartier, dass Falkenhayns strategische Mittel erschöpft waren, und berief ihn ab. An seine Stelle trat Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg, der Sieger von Tannenberg. Ihm zur Seite stand sein Stabschef General Ludendoff als „Erster Generalquartiermeisters“. Als erste Amtshandlung stellten sie die Offensive ein.

Im Oktober begann die französische Gegenoffensive. Erst fiel Fort Douaumont, dann Vaux. Das französische Oberkommando hatte inzwischen den umsichtigen Pétain, den „Helden von Verdun“, durch General Robert Nivelle ersetzt. Nivelle setzte voll auf Offensive, ohne Rücksicht auf die ihm anvertrauten Soldaten. Am 20. Dezember endeten die Kämpfe. Die Deutschen gingen mit einem geringen Geländegewinn aus der Schlacht, viel wesentlicher war aber der Rückzug (Codename „Alberich“) auf die „Siegfriedstellung“, den Ludendorff im Anschluss an Verdun vollzog.

Verdun wurde zum Inbegriff der Grausamkeit des modernen, industrialisierten Krieges. In Frankreich wurde die Schlacht zum nationalen Mythos, in Deutschland zum Symbol sinnlosen Blutvergießens. Die Soldaten der Wehrmacht im II. Weltkrieg fürchteten nichts mehr, als in ein „zweites Verdun“ zu geraten.

Einen Platz in der gesamteuropäischen Erinnerungskultur erhielt Verdun 1984, als Helmut Kohl und François Mitterand einander über den Soldatengräbern von Verdun die Hand reichten. Verdun, das einen Höhepunkt in der jahrhundertealten „Erbfeindschaft“ zwischen beiden Ländern markiert hatte, wurde so umgewandelt zum Symbol der Versöhnung und der europäischen Einigung.
Obiger Text findet sich gedruckt in: Ralf-Georg Reuth (mit Konstantin Sakkas): Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein. München 2014. © Konstantin Sakkas



Header: Staatspräsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl reichen einander vor dem Beinhaus von Douaumont die Hand. Verdun, 22. September 1984. Rechte: Corbis Images 

Der Erste Weltkrieg im Nahen Osten

Der Erste Weltkrieg war ein Weltkrieg im buchstäblichen Sinne. Er wurde nicht nur auf dem europäischen Kriegsschauplatz ausgetragen, sondern auch auf allen Weltmeeren, in Afrika – und im Nahen Osten.

Auf Seiten der Mittelmächte kämpfte seit August 1914 auch das Osmanische Reich. Der „kranke Mann am Bosporus“ war ein Vielvölkerstaat, das islamische Pendant zum katholischen Österreich-Ungarn, mit dem gemeinsam es im fünfzehnten Jahrhundert die Nachfolge des gefallenen Oströmischen Reiches, die Nachfolge von Byzanz angetreten hatte. Der Sultan in Konstantinopel, wie die frühere Hauptstadt des griechisch-römischen Kaiserreiches nach wie vor hieß, herrschte nicht nur über die Türkei, sondern über den gesamten Nahen Osten unter Einschluss von Mesopotamien und Teilen der arabischen Halbinsel.Im Innern rückschrittlich und nach westlichen Standards desorganisiert, gewährleistete dieses Reich seinen Bewohnern dennoch Ruhe, Ordnung und eine gewisse Toleranz.

Gleichwohl fand die arabische Bevölkerung, in der seit dem späten achtzehnten Jahrhundert der Wahabitismus, eine besonders aggressive und missionarische Strömung innerhalb des sunnitischen Islam, blühte, im Zeitalter des Nationalismus nach und nach Gefallen am Gedanken der Unabhängigkeit. Bei Kriegsausbruch sah sie ihre Stunde gekommen: Arabische Führer schlossen mit den Briten, die über Ägypten – einst eine byzantinische, dann eine arabische und schließlich eine osmanische Provinz – als Vizekönigreich herrschten, ein Abkommen, das ihnen im Falle eines Sieges die Unabhängigkeit zusicherte. Eine besondere Rolle spielte hier der englische Abenteurer Thomas Edward Lawrence, der als „Lawrence of Arabia“ in die Geschichte einging.

Der Nahe Osten wird heute eher als Nebenkriegsschauplatz wahrgenommen. Doch in Wahrheit liegt im Ersten Weltkrieg der Schlüssel zum Nahostkonflikt unserer Tage, so wie im Orientkonflikt der Schlüssel zu den großen europäischen Kriegen und schließlich zum atlantisch-eurasischen Gegensatz seit Beginn der Neuzeit liegt. So schreibt auch der US-amerikanische Historiker David Fromkin:

 

„Alle heutigen Konflikte des Nahen Ostens gehen zurück auf den Ersten Weltkrieg.“

 

Im 19. Jahrhundert stützen die Westmächte noch das Osmanische Reich, um ein Vordringen Russlands dort zu verhindern. Seit dem Berliner Kongress 1879 jedoch wurde das Deutsche Reich zum stärksten Verbündeten des Sultans. Projekte wie der Bau der Bagdadbahn und die türkische Militärmission unter den preußischen Generalen Colmar Graf v. der Goltz und Otto Liman v. Sanders festigten das Band zwischen Berlin und Konstantinopel.

Als der Krieg 1914 ausbrach, fürchtete der Sultan den definitiven Verlust des Nahen Ostens an die Westmächte, während Kaiser Nikolaus II. von Russland die jahrhundertealte Vision seiner Dynastie, die griechischen Glaubensbrüder in Ionien und an der Schwarzmeerküste zu befreien und sich in Konstantinopel zum Kaiser des neuerstandenen Byzantinischen Reiches zu krönen, auf einmal Wirklichkeit werden sah. In der Tat war es

 

„seit Jahrhunderten der russische Traum gewesen, Konstantinopel zu erobern, zum neuen Byzanz und zur Seemacht im Mittelmeer aufzusteigen, ja schließlich zu einer Weltmacht zu werden.“

 

Seit der Hussein-McMahon-Korrespondenz von 1915/16 zwischen dem osmanischen Scherifen (Statthalter) von Arabien, Hussein ibn Ali, der die Herrschaft des Sultans abschütteln wollte, und dem britischen Hochkommissar von Ägypten, Sir Henry McMahon,betrieben England und Frankreich die Zersetzung des muslimischen Großreichs. Grundlage hierfür wurde das Sykes-Picot-Abkommen vom Mai 1916, unter russischer Billigung geschlossen zwischen zwei Spitzendiplomaten der beiden Entente-Staaten, das „heute in arabischen Ländern immer noch als Synonym für koloniale Willkür gilt“ (Fromkin).Den arabischen Völkern im Nahen Osten versprachen sie für die Zeit nach Kriegsende eigene Staaten, Russland hingegen sollte Konstantinopel und damit einen Teil der Türkei erhalten.

Nach der Oktoberrevolution 1917 wurden die russischen Pläne zwar hinfällig, in der Türkei übernahm nach dem Sturz des Sultans Mustafa Kemal „Atatürk“ die Macht. Doch die neuen nahöstlichen Staaten kamen unter westliches Mandat: der Irak unter britisches, Syrien unter französisches.Ihre Grenzen wurden willkürlich gezogen, Muslime und Juden aber, die unter dem Sultan noch relativ ungestört nebeneinander gelebt hatten, fanden von nun an zu keiner friedlichen Koexistenz mehr, immer öfter kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Voll souverän wurden alle diese Staaten erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Westmächte hatten auf dem Rücken der Bevölkerung neue Provinzen gewonnen.Fromkin schreibt:

 

„Großbritannien und, in geringerem Maße, Frankreich [waren] die prägenden Mächte der Region. Mit der Beseitigung des Osmanischen Reiches radierten sie die Landkarte des alten Mittleren Ostens aus und entwarfen eine neue. Der Irak, Jordanien und Israel sind britische Kreaturen, Syrien und der Libanon sind französische – mit verheerenden Folgen. Seit 1919 herrschen im Mittleren Osten Wirrwarr und Blutvergießen.“

 

Im März 1916 stellte die Oberste Heeresleitung ein eigenes Asien-Korps auf, das der Heeresgruppe F („Yildirim“) angegliedert wurde. Die Heeresgruppe selbst bestand aus drei osmanischen Armeen, hatte aber bis 1918 deutsche Oberbefehlshaber: erst General Erich v. Falkenhayn (den man nach seiner Entlassung als Chef der 2. OHL im August 1916 auf diesen Posten abschob), dann Liman v. Sanders.

Der Heeresgruppe Yildirim gegenüber stand die britische Egyptian Expeditionary Force mit drei Armeekorps, erst unter Generalleutnant Archibald Murray, dann (ab 1917) unter General Edmund Allenby als Kommandierendem General. Im Dezember 1917 nahmen die Briten nach mehrwöchigen Kämpfen Jerusalem ein.

Am 9. Dezember fiel die Stadt, zwei Tage darauf zog Allenby mit seinem Stab in die Heilige Stadt ein. Als er das Stadttor erreichte, stieg er vom Pferd und betrat so, bis dahin einmalig in der Kriegsgeschichte, zu Fuß die eroberte Stadt – aus Respekt vor der Heiligkeit dieser Kultstätte dreier Weltreligionen.

Die Palästinaschlacht im September 1918, die sich über mehrere Tage hinzog und deren Höhepunkt die Einnahme von Damaskus durch die Briten war, beendete schließlich das Kapitel der deutschen Intervention im Nahen Osten, besiegelte aber auch das geopolitische Schicksal der nahöstlichen Erbmasse des Osmanischen Reiches bis in die heutige Zeit, also für ein volles Jahrhundert.

Die Türkei kapitulierte am 30. Oktober, Deutsche und Österreicher kehrten in ihre Heimatländer zurück. Den Oberbefehl über die Heeresgruppe übernahm Atatürk, der sie auf türkischen Boden zurückführte, wo sie alsbald den Kampf gegen die siegreichen griechischen Truppen aufnahm, die sich anschickten, in ihren kleinasiatischen Feldzug aufzubrechen, Konstantinopel zu befreien und altes griechisch-byzantinisches Gebiet wiederzuerobern.

Im deutschen Asienkorps, zu dem auch Soldaten Österreich-Ungarns gehörten, kämpften Bodentruppen und Fliegereinheiten. Anders als in den afrikanischen oder ostasiatischen Kolonien hielten sie sich erstaunlich lange. Anders auch als in Europa spielten Graben- und Stellungskrieg hier keine Rolle. Die Kämpfe in Wüstensand und Orienthitze wurden ähnlich kameradschaftlich geführt wie später im II. Weltkrieg der Afrikafeldzug.

Der moralisch und geopolitisch fragwürdige, aber aus seiner Haltung als „verspätete Nation“ (Helmuth Plessner) heraus verständliche Einsatz des kaiserlichen Deutschland für die Integrität des Osmanischen Reiches, das im Windschatten der Kriegshandlungen 1915 bis 1923 an den Pontosgriechen und an der armenischen Minderheit, den beiden ältesten christlichen Ethnien auf vorderasiatischem Boden, einen bis heute ungesühnten Völkermord mit mehreren Millionen Opfern verübte, schuf ein freundschaftliches Band zwischen Türken und Deutschen, das für viele Jahrzehnte halten sollte.

Doch immerhin: auch der Gegner erwies den Deutschen im Rückblick seine Reverenz. In seinen berühmten Memoiren Die sieben Säulen der Weisheit schreibt T. E. Lawrence:

 

„Sie waren zweitausend Meilen von ihrer Heimat entfernt, ohne Hoffnung in fremdem unbekannten Land, in einer Lage, verzweifelt genug, um auch die stärksten Nerven zu brechen. Dennoch hielten ihre Trupps fest zusammen, geordnet in Reih und Glied, und steuerten durch das wild wogende Meer von Türken und Arabern wie Panzerschiffe, schweigsam und erhobenen Hauptes. Wurden sie angegriffen, so machten sie halt, gingen in Gefechtsstellung und gaben wohlgezieltes Feuer. Da war keine Hast, kein Geschrei, keine Unsicherheit. Prachtvoll waren sie.“

 

Header: Fieldmarshal Viscount Allenby, der Sieger von Jerusalem, zieht am 11. Dezember 1917 zu Fuß in die Heilige Stadt ein.

Obiger Text erschien in: Ralf-Georg Reuth (mit Konstantin Sakkas), Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein. München: Piper 2014.

Die Schlacht an der Somme

Am 1. Juli 1916 begannen die Briten unter ihrem Oberbefehlshaber, dem späteren Feldmarschall Douglas Haig, eine große Entlastungsoffensive an der Somme. Sie wurde zur blutigsten Schlacht an der Westfront im Ersten Weltkrieg.

Seit Februar tobte die Schlacht um Verdun. Die Franzosen hatten dort bereits zahlreiche wichtige Stellungen aufgeben müssen und brauchten dringend Hilfe. Ende Juni begannen die Briten ein siebentägiges Bombardement an dem Fluss Somme nordwestlich von Verdun, um die deutschen Stellungen sturmreif zu schießen. Die britische Führung wollte so erreichen, dass ihre Infanteristen am Tag des Angriffs das Niemandsland „nur mit dem Spazierstock bewaffnet“ würden überqueren können. Entscheidender Nachteil dieses Dauerfeuers war allerdings, dass es den Deutschen den Ort des bevorstehenden Angriffs verriet.
Im Vorfeld des Angriffs wurden auch erstmals in diesem Krieg gigantische Sprengungen vorgenommen. In monatelanger Arbeit hatten britische Pioniere die deutsche Stellung „Schwabenhöhe“ bei dem Weiler La Boisselle unterminiert und Sprengstoff im Umfang von 27 Tonnen angebracht. Am 1. Juli um 7 Uhr 28 brachten sie die Höhe zur Explosion. Erdbrocken und Trümmerteile wurden einen Kilometer und höher in die Luft geschleudert, es gab Hunderte von Toten. Der Knall der Explosion war so laut, dass er noch in London zu hören gewesen sein soll. Die Briten gaben dem entstandenen Krater den Namen „Lochnagar-Krater“, in Anlehnung an die schottischen Regimenter, die hier lagen.
Zwei Minuten später traten dann 120.000 britische Soldaten zum Sturm auf die deutschen Stellungen an. Sie wurden sofort von heftigem MG-Feuer empfangen. Entgegen der Annahme der englischen Führung waren die deutschen Gräben nämlich zwar stark beschädigt, aber dennoch intakt geblieben. Es kam zu einem furchtbaren Blutbad: 20.000 britische Soldaten starben an diesem Tag, allein achttausend in der ersten halben Stunde. Es war der verlustreichste Tag in der britischen Militärgeschichte.
Besonders schlimm traf es die „Ulster Division“, in der nordirische Soldaten dem Vereinigten Königreich dienten. Bis heute gilt für sie der 1. Juli 1916 als Opfergang für Großbritannien. Um halb acht Uhr morgens griffen sie bei dem Dörfchen Thiepval an und stießen auf den fanatischen Widerstand württembergischer Truppen. Captain Wilfred Spencer, der dem Divisionsstab angehörte, sagte nach der Schlacht in einem Interview:
„Die Ulster Division hat mehr als die Hälfte ihrer Männer beim Angriff verloren und sich dadurch für das Empire geopfert, das sie nicht immer gut behandelt hat. Ihre Hingabe, die zweifelsohne das Ihre zum Vormarsch an den anderen Abschnitten beitrug, hat den Dank des ganzen Britischen Empire verdient. Diesen braven Jungs ist es zu verdanken, wenn ihre geliebte Heimat gut behandelt wird.“
Aus der Entlastungsoffensive wurde schnell ein eigener Kampfplatz, der bis dahin ungekannte Mengen an Menschen und Material verschlang. Bis in den November hinein rangen Deutsche und Briten, unterstützt von der 6. Französischen Armee unter General Fayolle, und verwandelten die idyllische Landschaft in eine Trichterwüste. Den britischen Hauptstoß führte die 4. Armee unter General Henry Rawlinson. Haig, der Oberbefehlshaber, versteifte sich so wie auf deutscher Seite ein halbes Jahr zuvor Falkenhayn auf eine Strategie der „Abnutzung“ und des „Weißblutens“. Tatsächlich kam dabei aber, wie der britische Militärhistoriker Basil Lidell Hart, der selber an der Schlacht teilnahm, später festhielt, nur „dummes, massenweises gegenseitiges Abschlachten“ heraus. Nirgends trat die geistige Unbeweglichkeit von im 19. Jahrhundert sozialisierten Truppenführern angesichts der Dimensionen des modernen Materialkrieges deutlicher zutage wie an der Somme.
Ernst Jünger, der an der Schlacht als Leutnant teilnahm, beschreibt die schreckliche Wirkung des Artilleriefeuers in seinem Buch „In Stahlgewittern“:
„Der Hohlweg erschien nur noch als eine Reihe riesiger, mit Uniformstücken, Waffen und toten gefüllter Trichter; das umliegende Gelände war, soweit der Blick reichte, völlig von schweren Granaten umgewälzt. Nicht ein einziger armseliger Grashalm zeigte sich dem suchenden Blick. Der zerwühlte Kampfplatz war grauenhaft. Zwischen den lebenden Verteidigern lagen die toten. Beim Ausgraben von Deckungslöchern bemerkten wir, dass sie in Lagen übereinandergeschichtet waren. Eine Kompanie nach der anderen war, dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht, dann waren die Leichen durch die von Geschossen hochgeschleuderten Erdmassen verschüttet worden, und die Ablösung war an den Platz der Gefallenen getreten.“
Einen weiteren Einschnitt in dieser Schlacht stellte der erstmalige Einsatz von Panzern dar. Am 15. September griffen die Engländer mit 32 „Tanks“ bei Flers nahe der Stadt Bapaume an. Der Name war bewusst gewählt, um den Gegner über den wahren Zweck der neuartigen, gepanzerten Fahrzeuge irrezuführen. Tatsächlich war die Verwirrung unter den Deutschen groß, entscheidende Wirkung konnte die Panzerwaffe aber noch nicht erzielen, zudem verspielten die Engländer durch den beschränkten Einsatz das Überraschungsmoment. Die Hauptlast des Angriffs lag nach wie vor bei der Infanterie, das Nahziel der alliierten Offensive, die Einnahme von Bapaume, wurde nicht erreicht. Auch bei Verdun wurde die deutsche Linie gehalten. Am 18. November wurde die Offensive eingestellt.
Die Schlacht an der Somme war neben Verdun die blutigste des ganzen Krieges. Gemessen an ihrer Dauer war sie die verlustreichste. Haig wurde zwar Anfang 1917 zum Feldmarschall befördert, doch der Ruf als „Schlächter von der Somme“, der einem veralteten Schlachtplan Hunderttausende Soldaten blind opferte, blieb an ihm haften. Der Historiker Jörn Leonhard schreibt:
„Nach der Somme-Schlacht war das Missverhältnis zwischen Raumgewinn und Opferzahlen unübersehbar. In etwa 150 Tagen hatten die deutschen Truppen auf 35 Kilometern Frontbreite etwa zehn Kilometer Gelände eingebüßt. Mit dem Rückzug auf die stark befestigte Siegfried-Linie Anfang 1917 konnten sie aber die Front insgesamt stabilisieren. Die Briten und die Empire-Truppen verloren insgesamt 420.000 Mann, die Franzosen 204.000 Mann, insgesamt hatten die Alliierten 146.000 Tote oder Vermisste zu beklagen. Dem standen 465.000 Mann deutsche Verluste gegenüber, darunter 164.000 Tote und Vermisste.“
Der Text erschien in: Ralf Georg Reuth, Im großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein. München: Piper 2014. © Konstantin Sakkas

Header: Die Schlacht an der Somme ist, wie der I. Weltkrieg insgesamt, bis heute fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses in der englischsprachigen Welt insbesondere natürlich im Vereinigten Königreich selbst. Im Bild die „eingefrorene“ Schlussszene der letzten Staffel der BBC-Sitcom „Blackadder“, „Goodbyeee“, von 1989 mit den beiden späteren Weltstars Hugh Laurie und Rowan Atkinson (2. und 3. v.l.)

Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns im I. Weltkrieg 

Der Weltkrieg war auf österreichischem Territorium ausgebrochen. Österreich verlangte nach Rache an Serbien, Deutschland leistete ihm dabei bereitwillig Hilfe. Erst dadurch wurde der Krieg ein Weltkrieg. Doch Österreich war von Anfang an Deutschlands Juniorpartner, der k. u. k.-Kriegsschauplatz ein ständiges Zuschussgeschäft für das deutsche Heer.
Die österreichisch-ungarische Monarchie selber geriet durch den Krieg in die schwerste Krise seit ihrem Bestehen. Das Heer war rüstungstechnisch auf den Krieg nicht vorbereitet, die Kampfmoral der Truppe war miserabel. Generale und Offiziere waren in der Regel Deutsche oder Ungarn, die Mannschaften aber entstammten zum erheblichen Teil der armen slawischen Landbevölkerung des Vielvölkerreiches. Sie strebten nach Unabhängigkeit und eigenen Nationalstaaten. Die oftmals erniedrigende Behandlung durch ihre Vorgesetzten steigerte noch diesen Wunsch. Immer wieder gingen ganze Truppenteile mit slawischer Mehrheit geschlossen zu den Russen über oder verweigerten zumindest den Gehorsam.

Im Kampf erlitt die k. u. k. Armee fast durchweg Niederlagen. Sowohl gegen Serbien als auch gegen Rumänien und insbesondere Russland rettete sie jeweils erst das Eingreifen der Deutschen vor einer Katastrophe. Zudem verübten österreichische Einheiten vor allem in Galizien und auf dem Balkan schwere Kriegsverbrechen. Nur gegen Italien konnten die Alpentruppen, darunter besonders die legendären Kaiserjäger, Erfolge erzielen. Am Grenzfluss Isonzo im heutigen Slowenien wurde seit 1915 unaufhörlich gekämpft. In der zwölften und letzten Isonzoschlacht bei Karfreit/Caporetto im Oktober 1917 wurden die Italiener tatsächlich entscheidend geschlagen, wobei sich ein junger deutscher Kompanieführer namens Erwin Rommel den Pour-le-Mérite erwearb. Die Österreicher stießen bis zum Piave nach.

Dort endete allerdings ihr Siegeszug. Mit Unterstützung der Engländer und Amerikaner stabilisierten die Italiener ihre Front und konnten so später bei den Pariser Friedensverträgen nach den drei Westmächten als vierte große Siegermacht auftreten. 

In Österreich-Ungarn, dessen Kriegswirtschaft ohne deutsche Hilfsleistungen nicht überlebensfähig war, wuchs derweil die Unzufriedenheit, Soldaten und Zivilbevölkerung litten Armut und Hunger. Der Separatismus blühte und die Völker der Monarchie planten bereits für die Zeit nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches, so die drei südslawischen Nationen in der Deklaration von Korfu im Juli 1917. 

Um dieser Entwicklung vorzubeugen, erließ Kaiser Karl I., der im November 1916 dem greisen Franz Joseph I. auf dem Thron gefolgt war, am 16. Oktober 1918 sein „Völkermanifest“. Er versprach darin insbesondere den Slawen eine begrenzte politische Autonomie. Doch sein Ruf verhallte ungehört. Am 29. Oktober 1918 wurde der südslawische SHS-Staat, bestehend aus Serbien, Kroatien und Slowenien, ausgerufen. Am 31. erklärte die amtierende ungarische Regierung das Ausscheiden Ungarns aus dem Reichsverband mit Österreich. Das Habsburgerreich in seiner seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Ausdehnung hatte aufgehört zu existieren.

Kurz darauf wurde die österreichische Armee in der dritten Piaveschlacht bei Vittorio Veneto von den Italienern geschlagen. Das Armeeoberkommando musste den Waffenstillstand von Villa Giusti unterzeichnen. Am 11. November, dem Tag des deutschen Waffenstillstands im Westen, erklärte Kaiser Karl schließlich seinen Thronverzicht und verließ das Land. Eine formelle Abdankung war es allerdings nicht: diese hielt er, darin bestärkt von seiner Gattin Zita, für unvereinbar mit dem Gedanken des Gottesgnadentums. Doch die über sechshundertjährige Herrschaft der Dynastie über die österreichischen Erblande war vorbei. 

In Österreich brach die Revolution aus. Am 12. November riefen die Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung Franz Dinghofer und Karl Seitz vor dem Parlamentsgebäude in Wien die „Republik Deutschösterreich“ aus. Im Land kam es zu tiefgreifenden Reformen. Der Adel wurde abgeschafft. Aus dem „Oberhaus Europas“ mit seinen strengen Standesschranken wurde unter dem neuen Staatskanzler, dem Sozialdemokraten Karl Renner, eine Republik. Die neue territoriale Ordnung aber wurde von den Siegermächten in den Verträgen von Saint-Germain-en-Laye (September 1919) und Trianon (Juni 1920) festgelegt: Das Königreich Böhmen ging in der Tschechoslowakei auf, Ungarn wurde selbständig, allerdings in weitaus engeren Grenzen als vorher, Siebenbürgen ging an Rumänien, die Balkanländer, darunter auch Bosnien-Herzegowina, gingen im Königreich Jugoslawien unter serbischer Führung auf, Tirol und Istrien fielen an Italien, das weißrussische Galizien teils an Polen, teils an die spätere Sowjetunion. Dem Reststaat Österreich selber wurde die Bezeichnung „Deutschösterreich“ sowie der Anschluss an das Deutsche Reich verboten, obwohl er von den demokratisch gewählten Regierungen beider Länder beschlossen worden war.

Mit Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich gingen jene Vielvölkerimperien unter, die sich in den vorangegangenen tausend Jahren in Südosteuropa auf dem Gebiet des alten byzantinischen Reiches etabliert hatten. An ihrer Stelle  entstanden nun Nationalstaaten, in denen freilich Spannungen zwischen ethnischer Majorität und Minoritäten vorprogrammiert waren. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das der amerikanische Präsident Woodrow Wilson vor dem Ende des Weltkrieges in seinem Vierzehn-Punkte-Plan so emphatisch beschworen hatte, unterlag letztlich der Auslegung und Anwendung durch die Sieger.
Header: Thronvezichtserklärung Kaiser Karls I., 11.11.1918 (oben). Ausrufung der Republik Deutschösterreich vor dem Parlamentsgebäude in Wien, 12.11.1918 (unten). Quelle: Wikimedia Commons
Der Text erschien in: Ralf-Georg Reuth, Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein. München 2014. © Konstantin Sakkas

Der Wettlauf zum Meer und die Schlacht bei Langemarck

Die Marneschlacht war gescheitert. Die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) unter ihrem neuen Chef General Erich v. Falkenhayn setzte nun alles daran, die Franzosen im Norden zu umgehen und sie zugleich von den heraneilenden britischen Interventionstruppen (BEF=British Expedition Forces) abzuschneiden, die vom Ärmelkanal aus den Franzosen zur Hilfe kamen. Zugleich galt es, die belgische Armee niederzuwerfen. Vom 14. September bis zum 19. Oktober vollzog sich zwischen dem Fluss Aisne nordöstlich von Paris und der belgischen Nordseeküste das, was als „Wettlauf zum Meer“ in die Geschichtsbücher einging.

Es begann mit der Schlacht an der Aisne, nordöstlich der Marne. Die frisch eingetroffenen Briten unter ihrem Oberbefehlshaber General French wollten die deutschen Linien in einem schnellen Vorstoß durchbrechen, scheiterten aber damit. Die Deutschen reagierten, indem sie ihre Verbände nach Norden warfen, um so den Gegner einzukreisen und nach Süden zu drücken. Doch auch dieses Manöver war erfolglos. So verschoben sich die beiden Frontlinien in dem Versuch, einander gegenseitig zu umgehen, immer mehr nach Norden, erst durch Nordostfrankreich, dann über belgisches Territorium: Arras, La Bassée, Ypern, und schließlich Ostende und Zeebrügge. Über fast 200 Kilometer hinweg lagen sich die Gegner hier parallel gegenüber, manchmal keine hundert Meter voneinander entfernt.

Im Rahmen dieser Bewegung gelang es den Deutschen bis Mitte Oktober, erst Lille, dann das im Hinterland gelegene Antwerpen einzunehmen, beides wichtige Knotenpunkte. Am 15. Oktober kapitulierte die Küstenstadt Ostende. Dies bedeutete das Ende eines nennenswerten Widerstandes der belgischen Streitkräfte gegen die deutschen Invasoren. Die Kämpfe verlegten sich nunmehr direkt an die Nordseeküste. An der Mündung des Flusses Yser entbrannten im Oktober heftige Gefechte zwischen Engländern und Deutschen. Die erste Flandernschlacht begann.
Hier spielten sich am 10. November 1914 auch die Kämpfe bei Langemarck ab. Soldaten des XXIII. Reservekorps sowie des XV. Armeekorps, unter ihnen vorwiegend Gymnasiasten und Studenten, die sich freiwillig gemeldet hatten, rückten westlich des Ortes, der im Umkreis der hart umkämpften Stadt Ypern lag, unter Absingen des Deutschlandliedes gegen die Franzosen vor und erlitten dabei schwere Verluste. Der verantwortliche Kommandiere General, Berthold v. Deimling, erhielt für diese Aktion den wenig schmeichelhaften Beinamen „Schlächter von Ypern“, der Angriff selber brachte keinen nennenswerten Geländegewinn.
Dennoch wurde Langemarck schnell zum nationalen Mythos stilisiert. Die Oberste Heeresleitung meldete:

„Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2.000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangengenommen und sechs Maschinengewehre erbeutet.“
In der Weimarer Zeit, noch mehr im Nationalsozialismus verklärte man den Opfergang von Langemarck zum nationalen Mythos. Tatsächlich aber war der Angriff bei Langemarck aus deutscher Sicht militärisch und moralisch wenig sinnvoll. Vergessen werden darf aber nicht, dass Dasselbe für ähnliche Aktionen auf alliierter Seite galt. Langemarck fand gleichwohl Eingang ins kollektive Gedächtnis der Deutschen, auch jenseits der Glorifizierung vor 1945. So finden die Kämpfe auch in dem berühmten Antikriegsbuch „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque Erwähnung.

Flandern aber, also der nördliche Teil Belgiens, wurde nun für die kommenden eineinhalb Jahre zum Hauptaustragungsort der Kampfhandlungen im Westen. Daran wird auch deutlich, wie zentral die Rolle der britischen Intervention auf französischer Seite für den Verlauf des Krieges war: Denn erst durch das Eingreifen der Engländer wurde der Schwerpunkt der Kämpfe nach Norden verlegt. Nach dem Scheitern des Schlieffenplans und dem Rückzug auf Marne und Aisne war es nun Ziel der Deutschen, Calais in Besitz zu nehmen und dort die britische Nachschublinie zu durchtrennen.
Zugleich markiert die Erste Flandernschlacht den Übergang vom Bewegungskrieg zum Stellungskrieg. Die Truppenführer erkannten, dass sie den Gegner operativ nicht überflügeln konnten, und verlegten sich stur darauf, Vorstöße der Gegenseite mit schwerem Artillerie- und Maschinengewehrfeuer abzufangen und dann ihrerseits vorzugehen, in der Hoffnung, dann einen erschöpften Gegner vorzufinden, der weniger Widerstand leisten würde.
Das aber erwies sich als Trugschluss. Die Zeit des Stellungskrieges, des schrecklichen, aufreibenden Lebens in den Gräben und Unterständen begann.

Header: Fritz Grotemeyer, Soldaten der Infanterie ziehen singend in die Schlacht bei Langemarck am 10. November 1914 (nach 1914). © Preußischer Kulturbesitz

Obiger Text erschien in: Ralf-Georg Reuth, Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein (München 2014). © Konstantin Sakkas

Novemberevolution und Waffenstillstand in Deutschland 1918

 Am 9. November 1918 trat der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann auf den Balkon des Reichstages und verkündete der wartenden Menschenmenge: „Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen, es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik.“Bis dahin war es ein weiter Weg. Das Deutsche Reich von 1871 war zwar eine konstitutionelle Monarchie, doch in den einzelnen Bundesstaaten, die hauptsächlich die Staatsgewalt ausübten, wurden die Parlamente überwiegend nach einem Zensuswahlrecht gewählt, das die besitzlosen Schichten benachteiligte. In Preußen war dies das Dreiklassenwahlrecht, das der König in der oktroyierten Verfassungscharta von 1850 den männlichen Untertanen gewährt hatte.  Auch die Reichsleitung, bestehend aus dem Reichskanzler und den Staatssekretären als Ressortchefs, war dem Kaiser, nicht dem Reichstag verantwortlich. Im Ersten Weltkrieg, der anders als die drei Bismarckschen Kabinettskriege 1864, 1866 und 1870/71 als „Volkskrieg“ unter totaler Mobilisierung aller menschlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen geführt wurde, wurde der Ruf nach politischer Mitsprache und nach parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regierung unüberhörbar. Nach der Niederlage des mit dem Deutschen Reich verbündeten Königreichs Bulgarien in der Schlacht bei Dobro Polje und dem Durchbruch der alliierten Orientarmee bei Saloniki Ende September 1918, als General Ludendorff mit einem Mal Hals über Kopf die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen forderte, konnte sich auch Kaiser Wilhelm II. diesem Ruf nicht mehr entziehen. Unter dem neuen Reichskanzler, dem liberalen Prinzen Max von Baden, kam es zu den „Oktoberreformen“. Erstmals wurden auch Abgeordnete aus Zentrum und SPD in die Reichsleitung berufen. Seit dem 28. Oktober schließlich war das Reich eine parlamentarische Monarchie.

Doch bereits vier Tage zuvor hatte der Chef der Marineleitung, Admiral v. Hipper, ohne Rücksprache mit der Regierung an die deutsche Hochseeflotte den Befehl zu einer letzten Entscheidungsschlacht herausgegeben. Seit der Skagerrak-Schlacht 1916 hatte der Großteil der Flotte untätig vor Anker gelegen. Nach dem Zusammenbruch der Salonikifront und dem alliierten Durchbruch an der Westfront bei Amiens wollte man in einem letzten Kraftakt dem Krieg doch noch eine siegreiche Wendung geben. Die deutschen Matrosen hatten sich allerdings schon auf einen baldigen Friedensschluss eingestellt und wollten sich nicht mehr in einer sinnlosen Seeschlacht verheizen lassen. Es kam zum Matrosenaufstand in Kiel und Wilhelmshaven. Soldaten verweigerten ihren Offizieren den Gehorsam und rissen ihnen die Schulterstücke herunter. Arbeiter- und Soldatenräte übernahmen die zivile und militärische Macht. Kaum ein Truppenteil wurde mehr als kaisertreu eingestuft, nicht einmal mehr die traditionsreichen Garderegimenter.

Schnell breitete sich die Revolte von der Küste ins ganze Land aus. Alle politischen Kräfte erkannten, dass die Herrschaft des Kaisers nicht mehr zu retten war. Sowohl die Oberste Heeresleitung unter Feldmarschall von Hindenburg und General Groener, der an die Stelle Ludendorffs als Erster Generalquartiermeister getreten war, als auch die Führung der Sozialdemokraten drängten Wilhelm II., entweder den Tod an der Front zu suchen, oder aber abzudanken und das Land zu verlassen. Damit wollte man eine kommunistische Revolution nach russischem Vorbild verhindern. Während Wilhelm sich noch sträubte, gab Reichskanzler Prinz Max am 9. November eigenmächtig folgenden Erlass heraus: „Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen.“ In allen deutschen Teilstaaten wurden die Könige, Großherzöge Herzöge und Fürsten gestürzt. Aus der Matrosenrevolte war die Novemberrevolution geworden. Der Kaiser verließ das Große Hauptquartier im belgischen Spa und ging ins Exil in die neutralen Niederlande. Von dort aus erklärte er am 28. November formell seine Abdankung. Kronprinz Wilhelm verzichtete auf seine Thronfolgerechte.

Die Angst von Prinz Max und der SPD-Führung vor einem kommunistischen Umsturz – dies zeigten die weiteren Ereignisse am 9. November – war nicht unberechtigt. Schon 1917 hatte sich die SPD in einen gemäßigten Mehrheitsflügel unter Friedrich Ebert und Scheidemann (MSPD) und einen radikalen unabhängigen Flügel (USPD) unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gespalten. Kurz nach Scheidemanns Auftritt proklamierte Liebknecht vom Balkon des Stadtschlosses aus vor einer Menschenmenge im Lustgarten die „sozialistische deutsche Republik“ nach dem Vorbild der russischen Bolschewiken. Dennoch konnten sich MSPD und USPD auf einen vorläufigen Kompromiss einigen. Je drei ihrer Vertreter bildeten den „Rat der Volksbeauftragten“, der die Regierungsgeschäfte übernahm. Max von Baden, dem der Kaiser und seine Anhänger die eigenmächtige Abdankungserklärung äußert verübelten, trat noch am Abend zurück und übergab das Kanzleramt an Ebert.

Zwei Tage später, am 11. November, unterzeichnete eine deutsche Delegation unter Leitung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger bei Compiègne im Salonwagen des französischen Oberbefehlshabers Marschall Foch unter großem Druck den Waffenstillstand. Aufgrund der verzweifelten Lage des deutschen Heeres und der Tatsache, dass kein Soldat mehr weiterkämpfen würde, nahm die deutsche Abordnung alle alliierten Bedingungen an: Räumung der französischen und belgischen Gebiete, Internierung der deutschen Flotte, Einziehung von schweren Waffen und Flugzeugen, Besetzung des linken Rheinufers durch Frankreich, Lieferung von Reparationen, sofortige Annullierung des im März mit Russland geschlossenen Friedens von Brest-Litowsk. Der Krieg war vorbei, Deutschland eine Republik.
Header: Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 in Berlin die deutsche Republik aus (links). Am Tag darauf: Kaiser Wilhelm II. und sein Gefolge auf dem Bahnsteig von Ejisden an der belgischen Grenze kurz vor dem Übertritt auf niederländischen Boden (rechts). Quelle: ZDF/Wikimedia Commons. 


Der Text erschien 2014 in: Ralf-Georg Reuth, Im Großen Krieg. Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein (München 2014).  © Konstantin Sakkas

Die Panzerwaffe im I. Weltkrieg 

Die Panzer – oder auch „Tanks“, wie die Briten die stählernen Ungetüme (ursprünglich nur zu Tarnungszwecken) nannten – waren eine der größten technischen Innovationen des Ersten Weltkriegs. Vorreiter bei ihrer Entwicklung waren Franzosen und Briten. Besonders Winston Churchill, der nicht nur Ester Lord der Admiralität war, sondern auch das Amt des Munitions- und Marineministers innehatte, war das neue Waffensystem ein Herzensanliegen.Im September 1916, mitten in der Somme-Schlacht, brachten die Briten im Rahmen ihrer Offensive bei Bapaume erstmals Panzer vom Typ Mark I zum Einsatz. Doch das war nur ein Testlauf. Nur ein Jahr später, im November und Dezember 1917, kam es bei Cambrai zur ersten großen Panzerschlacht der Geschichte, die Briten setzten dabei fast fünfhundert Tanks – so ihre Tarnbezeichnung – ein. Diese Offensive konnten die Deutschen zwar zurückschlagen, insbesondere aufgrund der neuen „Stoßtrupptaktik“, bei der kleine, elitäre Kampfgruppen die gegnerische Linie nach Schwachstellen absuchten und dort dann mit Wucht einbrachen. Die Briten verloren insgesamt 250 Panzer. Doch die neue Waffengattung war nunmehr aus dem Kriegsgeschehen nicht mehr wegzudenken.

Die Panzertechnologie antwortete auf zwei Erfordernisse, die im Krieg neu aufgetreten waren. Die Panzerung sollte Artilleriebeschuss standhalten, während die Fortbewegung auf Raupenketten dazu diente, sich auch in unwegsamem, sumpfigem Gelände ungehindert fortzubewegen. Auf diese Weise wollte man endlich nachhaltige Frontdurchbrüche erzielen und große Distanzen überwinden.

Während in England insgesamt zehn, in Frankreich immerhin drei Panzertypen entwickelt wurden, schenkte die deutsche Oberste Heeresleitung der Tankwaffe vorerst keine große Beachtung. Die Generäle der alten Schule hielten sie für ein Phantasieprodukt ohne Zukunft. Als man in Deutschland endlich mit der industriellen Fertigung von Panzern begann, war es schon zu spät. Lediglich ein Typ, der von Daimler produzierte A7V, wurde in Deutschland im Krieg in Serie gefertigt. Doch die Panzerwaffe entpuppte sich als Mittel der Wahl im modernen Krieg. Seit drei Jahren verharrte die Westfront nun im Stellungskrieg. Durch die Tanks wurde er wieder zum Bewegungskrieg.

Der französische Renault FT17-Panzer zeichnete sich durch starke Panzerung – 22 mm – bei besonders geringer Masse (sieben Tonnen) aus. Dadurch war er besonders wendig und schnell. Ausgeliefert wurde er entweder mit einer 3,7-cm-Kanone oder mit einem Maschinengewehr. Er brachte es auf 2.700 Exemplare. Daneben verfügten die Franzosen über den schwereren Char d’Assaut („Angriffswagen“) Schneider CA1, den die Rüstungsschmiede Schneider-Creusot fertigte. Er feuerte aus einer 7,5-cm-Kanone sowie zwei 8-mm-MGs und brachte fast 15 Tonnen auf die Waage. Von ihm liefen vierhundert Stück vom Band.

Der britische Mark IV, das meistproduzierte Modell innerhalb der Mark-Serie, wog ganze 28 Tonnen. Er erreichte nicht die Flexibilität seines französischen Pendants, war dafür aber für die Zerstörung von feindlichen Grabensystemen bestens geeignet. Zudem verfügte er nicht nur über zwei 5,7-cm-Kanonen als Hauptwaffe, sondern auch über drei Maschinengewehre als Sekundärbewaffnung. Damit konnte er sowohl massive Stellungen, als auch einzelne Infanteristen ideal unter Feuer nehmen. Über 1200 Stück wurden von ihm gebaut.

Bei Cambrai kämpfte die deutsche Armee vorerst mit „Beute-Panzern“, insbesondere aus der britischen Mark-Serie. Erst nach und nach kam der A7V an die Front, ein 30 Tonnen schweres Ungetüm, das im April 1918 seine Feuertaufe erlebte. Hier zeigte sich, dass die deutschen Entwickler hoffnungslos zu spät kamen. Häufige Motorschäden und seine Schwerfälligkeit im Gelände verhinderten entscheidende Erfolge. Hinzu kam die prekäre Brennstofflage der Deutschen, die sich 1918 stetig verschlimmerte und weiträumige Operationen so gut wie unmöglich machte.

Die Alliierten dagegen traten der deutschen Großoffensive mit einer bereits hochentwickelten Panzerwaffe entgegen. Achthundert Tanks auf Entente-Seite standen während der „Großen Schlacht um Frankreich“ gerade einmal zwanzig bei den Deutschen gegenüber. Waren die ersten, vereinzelt angreifenden Panzer noch eine leichte Beute für deutsche Artilleristen gewesen, so rückten sie jetzt in geschlossenen Verbänden vor, walzten ganze Schützengräben erbarmungslos nieder und erzielten in kurzer Zeit kilometerweite Vorstöße, von denen die Infanteristen im Stellungskrieg nie zu träumen gewagt hätten. Der Krieg, der 1914 noch mit vereinzelten Kavalleriegefechten begonnen hatte, wurde 1918 durch die Panzerwaffe entschieden.
© Konstantin Sakkas. 2014

Der Luftkrieg im Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg in der Geschichte, der nicht nur zu Wasser und zu Lande, sondern auch in der Luft geführt wurde. Rasch errichteten alle kriegsteilnehmenden Staaten eigene Fliegertruppen, die zumeist dem Heer oder der Marine angegliedert und entsprechend uniformiert waren. Ihre Aufgabe bestand zu Anfang vor allem in der Feindaufklärung, doch bald entwickelten sie eine eigenständige Kampftätigkeit. Zwar wurden auch damals schon Städte und Zivilbevölkerung bombardiert. Reichweite und Intensität dieses frühen Bombenkrieges waren jedoch nicht vergleichbar mit den Flächenbombardements des Zweiten Weltkrieges, in denen gezielt Zivilisten getroffen werden sollten. Entsprechend hielten sich die Opferzahlen in Grenzen. Auch Industrieanlagen wurden durch Bombenabwürfe nicht wesentlich in ihrem Bestand gefährdet.
Zu Kriegsbeginn spielten noch Luftschiffe, nach ihrem Erfinder Graf Zeppelin auch „Zeppeline“ genannt, eine tragende Rolle. Ab Mitte des Krieges verschwanden sie immer mehr von der Bildfläche zugunsten von Bombern und Jagdflugzeugen. Die Technik war noch stark unterentwickelt. Teilweise warfen Pilot oder Schütze die einzelnen Bomben von Hand aus der Maschine. Einen Einschnitt in der Entwicklung der Jagdwaffe bedeutete die Entwicklung des schwenkbaren Maschinengewehrs, mit dem der Jägerpilot durch seinen Propeller feuern konnte.
Der vermutlich erste Luftangriff des Krieges ereignete sich am 6. August 1914. Ein deutsches Luftschiff warf Bomben auf das belgische Lüttich. An Heiligabend 1914 warf Leutnant Hans v. Prondzynski bei Dover die erste deutsche Bombe über englischem Boden ab.
Die junge Truppengattung wuchs rasant. Insgesamt produzierte das Deutsche Reich 1914 bis 1918 über 47.000 Flugzeuge, Frankreich 52.000 und Großbritannien sogar 55.000. Anders als im II. Weltkrieg besaßen die Deutschen über Jahre hinweg die Luftüberlegenheit. Das änderte sich erst mit der Ankunft der Amerikaner auf dem Kontinent 1918. Die Bombardierung strategischer Ziele (Städte, Industrieanlagen) spielte bis zuletzt nur eine Nischenrolle. Die Hauptaufgabe der Luftstreitkräfte lag in der Feindaufklärung und in der Unterstützung des Erdkampfes.
So klein die neue Teilstreitkraft vorerst war, so groß war das Prestige der neuen „Ritter der Lüfte“. Das galt vor allem für die Jagdwaffe. Das wohl berühmteste Beispiel hierfür ist der Jagdflieger Manfred Freiherr von Richthofen (1892-1918). Der junge Kavallerieoffizier aus einer alten preußischen Militärfamilie meldete sich 1915 zur Fliegertruppe und ging damit einen für viele seiner Kameraden typischen Weg. Der „Rote Baron“, so genannt nach seinem rot angestrichenen Dreidecker, wurde legendär, achtzig bestätigte Abschüsse feindlicher Flugzeuge werden ihm zugeschrieben, der Kaiser verlieh ihm den Pour-le-Mérite.
Als Richthofen am 21. April 1918 nahe der Somme von einem britischen Flieger abgeschossen wurde, erwiesen ihm Freund und Feind die letzte Ehre. Sein Schicksal zeigt auch, dass 1914 bis 1918 neben dem harten, grausamen und erbarmungslosen Stellungs- und Materialkrieg in den Schützengräben auch ein relativ „gesitteter“, ritterlicher Krieg geführt wurde – aber eben in den Lüften. Versetzungen in die Fliegertruppe waren unter jungen Offizieren heiß begehrt. Dennoch war auch bei ihnen, trotz der verhältnismäßig „komfortablen“ Kampfbedingungen, die Verlustquote hoch. Die Piloten pflegten untereinander betont höfliche Manieren, wer im Luftkampf siegte, zündete dem abgeschossenen Gegner die Zigarette an – nicht selten die letzte, die der in seinem Leben rauchte.
Die „Fliegerasse“ des I. Weltkrieges wurden im und nach dem Krieg vielerorts zu „Stars“. Viele von ihnen setzten ihre Karriere nach Friedensschluss fort, erst in der Reichswehr, dann in Hitlers Wehrmacht. Hermann Göring, der die Staffel Richthofen nach dessen Tod übernahm, wurde im „3. Reich“ Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Die im I. Weltkrieg entwickelte Luftjagdtaktik blieb bis weit über den II. Weltkrieg hinaus international maßgeblich.
In der Literatur hinterließ der junge Luftkrieg bemerkenswerte Spuren. Der Romancier Marcel Proust beschreibt in seinem Epos „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, wie die Pariser Gesellschaft von dem neuartigen Klang der Luftwarnungssirenen aufgeschreckt wird. Remarque beschreibt in „Im Westen nichts Neues“, was die einfachen Infanteristen vom Luftkrieg hielten: „Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das Artilleriefeuer herüber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag, darunter fünf Sanitäter.“

© Konstantin Sakkas
Titelbild: Manfred v. Richthofen, 1917. Quelle: Bundesarchiv

Christmas truce – Trêve de Noël – Weihnachtsfriede 1914

Weihnachten 1914 kam es zu einem der bemerkenswertesten Ereignisse nicht nur des Ersten Weltkrieges, sondern der modernen Kriegsgeschichte überhaupt. Ohne Wissen und Wollen der höheren Vorgesetzten legten deutsche, britische und französische Soldaten an Heiligabend die Waffen nieder und verbrüderten sich miteinander.
Man kletterte aus den Schützengräben, verabredete auf Zuruf Waffenruhe und versammelte sich gemeinsam im von Granattrichtern zerfurchten Niemandsland. Die erschöpften Soldaten tauschten Süßigkeiten, Tabak und Nahrungsmittel aus, die sie mit den Weihnachtspaketen aus der Heimat erhalten hatten, machten Witze, wechselten Adressen und erzählten sich ihre Erlebnisse. Schließlich sangen sie gemeinsam Weihnachtslieder.
„Stille Nacht, Heilige Nacht“ oder „Adeste, fideles“ etwa gehörten zu den Liedern, die in allen Sprachen die gleiche Melodie haben. So fanden die Männer inmitten der Düsternis und des Verderbens etwas, was sie alle miteinander verband und was die Feindschaft, den Hass und das Leiden zum Erliegen brachte. Die eine Seite begann zu singen, die andere fiel ein, und schließlich verließen die Männer ihre Stellungen und trafen sich in der Mitte.
Ausgangspunkt des Weihnachtsfriedens war die Gegend um Ypern in Flandern, wo britische und deutsche Soldaten stellenweise nur fünfzig Meter voneinander entfernt lagen. Die Soldaten wollten die Kampfpause während der Weihnachtstage nutzen, um ihre Gefallenen zu bergen. Das ging aber nur, wenn sie sicher sein konnten, dass der Gegner nicht auf sie schießen würde. So begannen die ersten, vorsichtigen Kontaktversuche mit dem Feind.
Bald darauf löste sich die Angst, und deutsche Soldaten stellten Kerzen und kleine Weihnachtsbäumchen auf dem Rand ihrer Schützengräben auf. Nicht nur einfache Mannschaften und Unteroffiziere, sondern auch Offiziere, teilweise sogar Kompaniechefs und Bataillonskommandeure, beteiligten sich an den Verbrüderungen oder duldeten sie zumindest. Captain Sir Edward Hulse von den Scots Guards schrieb:

„Zwischen Schotten und Hunnen [= Deutsche] fand weitestgehende Verbrüderung statt. Alle möglichen Andenken wurden ausgetauscht, Adressen gingen her- und hinüber, man zeigte sich Familienfotos usw. Einer von uns bot einem Deutschen eine Zigarette an. Der Deutsche fragte: ‚Virginia’? Unserer sagte: ‚Klar, straight-cut Schnitt’. Darauf der Deutsche: ‚Nein, danke, ich rauche nur türkischen…’ […] Darüber haben wir alle sehr gelacht.“

An einem anderen Abschnitt stiegen auf einmal sächsische Soldaten aus ihren Verhauen. Auf den Anruf der verdutzten englischen Posten erklärten sie:

„Nicht schießen. Wir wollen heute nicht kämpfen. Wir schicken Euch Bier rüber.“

Daraufhin senkten die Briten ihre Gewehre, und drei Deutsche rollten ein Fass Bier ins Niemandsland hinüber, das sie den Engländern schenkten. Captain Stockwell von den Royal Welsh Fusiliers revanchierte sich bei den Deutschen mit Christmas Puddings. Bleibende Berühmtheit erlangten nicht zuletzt die Fußballspiele, die zwischen Briten und Deutschen während des Weihnachtsfriedens im Niemandsland ausgetragen wurden. In einem Brief, der in der Londoner Times veröffentlicht wurde, berichtete der deutsche Leutnant Niemann von einem solchen Verbrüderungsmatch, das in seinem Abschnitt bei Frelinghien-Houplines ausgetragen worden und mit 3:2 für Deustchland ausgegangen sei.
Bei Fromelles südlich von Ypern kam es sogar zu einem gemeinsamen Gottesdienst von Briten und Deutschen. Ein englischer Regimentspfarrer las den Psalm 23 vor („Der Herr ist mein Hirte“), ein englischer Student, der Deutsch sprach, übersetzte den Text. Lieutenant Arthur Pelhalm Burn notierte in sein Tagebuch:

„Die Deutschen standen auf der einen Seite zusammen, die Engländer auf der anderen. Die Offiziere standen in der vordersten Reihe, jeder hatte seine Kopfbedeckung abgenommen. Ja, ich glaube dies war ein Anblick, den man nie wieder sehen wird.“

Selbst der Deutsche Kronprinz Wilhelm, der als Oberbefehlshaber der 5. Armee an der Westfront die Weihnachtsverbrüderungen offiziell scharf missbilligte, erinnert sich in seinen Kriegserinnerungen daran, wie der Kammersänger Walter Kirchhoff vom 130. (Lothringischen) Infanterieregiment, der in seinem Stab als Ordonnanz diente, an Heiligabend vor Franzosen und Deutschen Weihnachtslieder sang:

„Er berichtete mir nächsten Tages, dass einzelne Franzosen auf ihre Brustwehren geklettert wären und so lange Beifall geklatscht hätten, bis er noch eine Zugabe hinzufügte. Hier hatte das Weihnachtslied mitten im bitteren Ernst des heimtückischen Grabenkrieges ein Wunder gewirkt und von Mensch zu Mensch eine Brücke geschlagen.“

Dennoch erregte der Weihnachtsfrieden in der höheren Führung auf beiden Seiten Unwillen, wenngleich es zu keinen Sanktionen kam. Vielerorts ruhten die Waffen noch bis Silvester, an manchen Abschnitten sogar bis in den Januar hinein.
1915 versuchten Soldaten noch an einigen Standorten, das „Weihnachtswunder“ des Vorjahres zu wiederholen. Doch diesmal wurde es ihnen von ihren Vorgesetzten unter Androhung des Kriegsgerichts verboten. Der Krieg machte nun selbst vor dem letzten kleinen Rest des Friedens und der Zivilisation nicht mehr halt.

© Konstantin Sakkas
Titelbild: Soldaten des Kgl. Sächs. 10. Infanterieregiments Nr. 134 und des Royal Warwickshire Regiment treffen sich am 26. Dezember 1914 im Niemandsland, vermutlich in Flandern. © Imperial War Museum, London/Wikimedia Commons